Wenn ein Autor ein Buch beginnt mit einer Aufzählung der verschiedenen Kupferminen, rasch abgleitet in eine Beurteilung der Qualität des dort jeweils geförderten Metalls, diese Qualität ebenso rasch festmacht an der jeweiligen Verunreinigung, von hier auf Kupferlegierungen im Allgemeinen und dann auf Bronze im Speziellen wechselt, bei „Bronze“ deren verschiedene Verwendungsarten aufzählt, um schließlich bei der Bronze-Skulptur zu landen, von wo aus eine auflistende Beschreibung solcher Skulpturen folgt, der wiederum eine solche der diese Skulpturen schaffenden bzw. geschafft habenden Künstler nachschiebt, inklusive einer Rangfolge dieser Künstler – dann haben wir den Meister der literarisch-wissenschaftlichen Digression der Antike vor uns, Gaius Plinius Secundus, und befinden uns in Buch 34 seiner Naturgeschichte.
Die letzten vier Bücher seines groß angelegten Werks widmen sich nämlich der unbelebten Natur. Typisch für ihn und die Zeit, in der er lebt, betrachtet er diese unbelebte Natur vor allem im Hinblick auf ihren Nutzen für den Menschen. So ist es nicht verwunderlich, dass er deren Darstellung mit Kupfer-, Gold- und Silberminen beginnt und damit ein ganzes Buch füllt, und neben der medizinischen Verwendung der Metalle und Erden (hierbei – anders als bei seiner Darstellung der belebten Natur – wird nun auch von Plinius sehr viel Aberglaube und Magie präsentiert!) sich mit deren Verwendung in Münzen, in der Kunst und vor allem auch im Schmuck auseinander setzt. Der Exkurs in Buch 35 zur Malerei (und zur Herstellung der Farben) ist dann schon fast ein Ausrutscher, erklärbar nur durch den Umstand, dass er bei der Mischung der Farben noch immer ein wenig in Mineralogie und Metallurgie sich befindet. Die beiden letzten Bücher dann, über den Stein im Allgemeinen, die Edelsteine im Besonderen sind dann wieder ganz im Stil von Buch 34 verfasst.
In der Beurteilung der bildenden Künstler scheint Plinius recht unsicher zu sein – unsicherer jedenfalls als in der Schilderung der verschiedenen Techniken zur Förderung, Reinigung oder Mischung von Metallen. Bei letzterer und vor allem bei der Schilderung der Edelsteine ist unser Problem einmal mehr, dass wir im 21. Jahrhundert nicht in allen Fällen nachvollziehen können, von welchem Werkstoff, von welchem Stein Plinius nun genau spricht. Die Terminologien haben zum Teil geändert, gleich klingende Wörter bezeichnen heute ganz andere Edelsteine, auch die Einteilungen oder Grenzziehungen sind heute andere und wir wissen nicht mehr in jedem Fall, welche zu Plinii Zeit geherrscht hat.
Als Quellen seiner Darstellung dienten Plinius – neben dem allgegenwärtigen Theophrast – vor allem Varro als Historiker und Vitruv für die Verwendung von Marmor in der Architektur, die Architektur im Allgemeinen und die Verwendung und Herstellung von Glas.
Eines aber ist klar: Ob es um die Verwendung von Marmor für private wie öffentliche Bauten geht, um die Verwendung von Gold und Silber, vor allem aber Edelsteinen, für Herrenschmuck: Plinius ruft immer wieder die gute alte Zeit in Erinnerung, wo jedweder Luxus verpönt war. Nach einigen im heutigen Verständnis weniger wichtigen sekundären und tertiären Staatsmännern sind es vor allem die Kaiser Gaius (i.e. Caligula) und Nero, die er für ihre Verschwendungssucht in Sachen Architektur oder Verwendung von Edelmetallen und -steinen hart kritisiert. (Seine eigene Zeit, seine eigenen Kaiser lässt er in Ruhe – er lebte allerdings auch in einer diesbezüglich etwas gemäßigteren Epoche.)
Fazit: Nicht nur wissenschafts- bzw. technikgeschichtlich interessant, sondern in seiner Schilderung des überbordenden Luxus der frühen Kaiserzeit bis und mit Nero auch kulturgeschichtlich. (Und nebenbei bin ich in den Anmerkungen der Herausgeber noch auf eine technikgeschichtliche Abhandlung von Lyon Sprague de Camp gestoßen, den ich, offen gesagt, nur als zweitklassigen Autor von Science Fiction und Fantasy gespeichert hatte, der aber auch technikgeschichtlich offenbar einiges und einiges Lesenswertes verfasst hat.)
C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Band V: Metallurgie • Kunstgeschichte • Mineralogie. Herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Karl Bayer, Gerhard Winkler und Joachim Hopp. (= Ausgewählte Werke, Band V). Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2008.