Im Moment findet in Winterthur, im Museum Reinhart am Stadtgarten, eine Ausstellung von Werke des Münchner Malers Carl Spitzweg statt. Aus verschiedenen Museen wurden einige seiner bekanntesten Bilder herbeigebracht; einige besitzt das Museum auch selber. Spitzweg changiert irgendwo zwischen Spätromantik und Biedermeier – wobei er allerdings ein äußerst vielseitiger Maler ist, der Erwartungshaltungen im Publikum gerne und sofort unterläuft. Seine Bilder kann man schon beinahe Miniaturen nennen, doch innerhalb dieser Miniaturen versteckt der Maler immer wieder Details, die einen den ersten Eindruck, den man vor dem Bild (und von dem Bild) erhält, revidieren lassen.
Die vermeintliche Idylle in Spitzwegs Bildern wird gern und oft zur ironischen Karikatur, so wenn ein Wachsoldat, das Bajonett abgestellt, das Strickzeug weggelegt, in die Landschaft schaut. Nichts scheint sich zu bewegen. Das ist einerseits schon so eine ironische Kritik an der Institution des Militärs, die Spitzweg in die Nähe der Karikaturen eines Honoré Daumier stellt. Das wird noch subversiver, wenn man sich vor Augen hält, dass das Bild 1870 gemalt wurde – zum Zeitpunkt also, an dem der Deutsch-Französische Krieg ausbrach. Ein gefährdetes, auf der Kippe stehendes Idyll. Ebenso gefährdet ist auch das Idyll des Bücherwurms, das Spitzweg in verschiedenen Versionen gemalt hat. Zuoberst auf einer nicht recht stabil wirkenden Leiter, Bücher in der Hand, unter den Arm geklemmt und zwischen die Beine genommen, balanciert ein älterer Herr gedankenverloren. Das Buch, das er gerade in der Hand hat, scheint nicht das richtige zu sein, oder vielleicht auch hat es seinen Zweck bereits erfüllt, seine Information bereits geliefert und der Bücherwurm ist in Gedanken bereits beim nächsten Buch. Jedenfalls gilt seine Konzentration weder seiner physischen Lage, noch dem Buch in seiner Hand. Stabil scheint aber weder seine physische noch seine psychische Lage zu sein. Noch ein gefährdetes, und diesmal wörtlich auf der Kippe stehendes Idyll.
Die Ausstellung präsentiert auch Bilder aus der frühen Zeit Spitzwegs, als er noch Landschaften in der Manier der alten Niederländer malte – allerdings auch diese en miniature. Später würde die Landschaft nur noch Staffage sein für seine Figuren – allesamt Einzelgänger, Tabak schmauchende Sonderlinge (Pfeife, nicht Zigarre! – Was ganz einfach daran liegt, dass offener Tabak einfacher und billiger zu haben war als sorgfältig und von Hand gerollte Raucherware.).
Spitzweg hatte nie eine eigentliche Ausbildung zum Kunstmaler genossen: Als junger Mann durfte er nicht, weil sein Vater ihn zum Apotheker bestimmt hatte; später wollte er dann nicht mehr, weil er den akademischen Kunstbetrieb mittlerweile verachtete. Er lernte durch Kopieren. Dennoch sind seine Bilder handwerklich gut gemacht. Wenn man sie in wenigen Worten charakterisieren wollte, könnte man vielleicht für ihn folgende Formel verwenden: Er ist „Rembrandt x Wilhelm Busch“, in späteren Bildern wird ein Schuss Impressionismus hinzugefügt (nämlich, was seine Maltechnik betrifft, wenn z.B. Mohnblumen nur noch als winzige rote Flecken angedeutet sind).
Einer, bei dem es sich lohnt, hinzugehen und seine Bilder im Original mit der Lupe zu betrachten. Vorausgesetzt, das Aufsichtspersonal lässt einen gewähren. Die Ausstellung in Winterthur ist noch bis 6. September 2020 geöffnet; eine Führung mitzumachen empfehlenswert.