Über den Staat nennt sich meine Auswahlausgabe aus den Six Livres de la République (1568), die (zum ersten Mal 1976 – vor mir liegt ein Nachdruck von 2011) von Gottfried Niedhart bei Reclam herausgegeben wurde*). Niedhart war dabei nicht nur Herausgeber, er hat auch selber übersetzt, überhaupt die Auswahl getroffen und ein Nachwort verfasst. Letzteres, um dies gleich vorweg zu nehmen, entstand offenbar (zum Glück!) zu früh, um der Unsitte gehorchen zu müssen, jeden politischen oder staatsrechtlichen Text unter marxistischen Gesichtspunkten (fehl) zu interpretieren, die ansonsten die Vor- und Nachworte einiger solcher Texte in den Reclam-Ausgaben bis heute verunzieren. Niedhart beschränkt sich wohltuend auf sachliche Information zu Bodin, seiner Zeit und seinem Werk. Bodins Zeit, das war die Epoche der religiös motivierten Bürgerkriege zwischen Katholiken und Calvinisten, die im 16. Jahrhundert Frankreich ins Chaos stürzten und erst mit Henri IV. und dem Edikt von Nantes zumindest für einige Zeit gestoppt werden konnten. Doch zu der Zeit war Bodin schon seit zwei Jahren tot, und dieses sein staatstheoretisches Werk hier steht noch völlig unter dem Zeichen des Bürgerkriegs.
Zur Auswahl, die Niedhart getroffen hat: Nach seinen Angaben besteht Bodins Original zu etwa zwei Dritteln aus historischen Fallbeispielen, die der Autor seinerseits aus älteren Autoren gezogen hat. Das gab der Schrift einen enzyklopädischen Charakter und sollte sicher auch die Wissenschaftlichkeit untermauern, auf die Bodin Wert legte**), und mit der er sich wohl auch ein wenig vor der Zensur oder anderweitiger politischer Verfolgung zu schützen suchte. (Nicht ganz mit Erfolg, übrigens.) Jedenfalls haben wir hier das „Skelett“ von Bodins Untersuchung vor uns. Das genügt, um ein nicht-spezialisiertes Interesse an Bodins Staatstheorie zu stillen, denn im Großen und Ganzen ist es Niedhart gelungen, einen Text herzustellen, dem man als Leser problemlos folgen kann, und der auch einen gewissen Sinn ergibt.
Bodin, der Staatstheoretiker, kommt – zu jener Zeit eine Selbstverständlichkeit – natürlich zunächst einmal von der Einteilung der Regierungsformen her, die Platon und Aristoteles als erste aufgestellt hatten, und die durch Polybius, den Bodin des öfteren zitiert, sozusagen kanonisch gemacht worden ist: Es gibt auch für Bodin nur Monarchie, Aristokratie und Demokratie. Mischformen allerdings, wie die antiken Autoren sie kannten, lehnt er ab. Was den Antiken ihre Mischformen waren, sind für Bodin die Möglichkeiten, dass jede Regierungsform in ihrer „Handhabung“ Aspekte anderer Regierungsformen beinhalten kann: Ein Monarch, zum Beispiel, kann seine Belohnungen / Ämter nur an die Reichsten bzw. bestimmte Familien verteilen (dann agiert er aristokratisch), oder er verteilt sie an die Besten unabhängig von ihrer Herkunft (dann agiert er demokratisch). Außerdem kennt Bodin eine legitime Herrschaft, eine despotische und eine tyrannische. Dabei denkt er weniger an die Art, wie der Souverän an die Macht gekommen ist, sondern an die Art, wie er die Gesetze des Staates handhabt. Ein legitimer Herrscher wird seine Untertanen behandeln, wie der Hausvater seine Kinder, die ihm gegenüber Rechte und Pflichten eben so haben, wie er sie ihnen gegenüber hat; ein despotischer Herrscher hingegen gleicht dem Hausvater in seinem Verhältnis gegenüber seinen Sklaven; während ein tyrannischer Herrscher alle seine Untertanen in der gleichen Rechtlosigkeit hält.
Aus diesem kurzen Abriss sehen wir, dass Bodin nicht nur an die Legitimität von Sklaverei glaubte (dann nämlich, wenn sich eine Nation eine andere im Krieg untertan gemacht hatte), sondern auch, dass die Keimzelle der Nation nicht wie bei Hobbes der Einzelne ist, der des Krieges mit den anderen Einzelnen müde, sich mit einigen zusammen schließt und so, mit dem Versprechen gegenseitiger Hilfe gegen Dritte, einen Staat gründet, sondern die Familie im Streit mit benachbarten Familien. Was dem Abriss hinzuzufügen wäre, ist der Umstand, dass schon Bodin ganz kurz erwähnt, was dann Montesquieu ausführlicher beschreibt (kurz nämlich, sofern hier nicht der Herausgeber allzu viel weggelassen hat): Die Abhängigkeit der einem Volk angemessenen Herrschaftsform von äußeren Umständen wie Nationalcharakter, Religion, Klima oder den wirtschaftlichen Verhältnissen (sprich: der Ergiebigkeit der Landwirtschaft).
Für Frankreich nun sieht Bodin als beste Regierungsform die Monarchie. Der souveräne Fürst, den Bodin in diesem Amt sieht, ist weder äußerlich von anderen Staaten abhängig, noch innerlich auf eine Zustimmung der Stände angewiesen. Denn noch steckt Frankreich im alten Ständestaat, wenn auch bereits in einem Übergang zu Bodins Utopie. Aber, da Souveränität (nicht nur für den souveränen Fürsten, den König, sondern für alle Souveräne – für den Fürsten aber ganz speziell!) auch bedeutet, von nichts und niemand abhängig zu sein, nicht von anderen Staaten, nicht von seinen Untertanen und schon gar nicht von den Gesetzen (Bodin benutzt hierfür die lateinische Formulierung legibus solutus, die, als „legibus absolutus“ überliefert, der von ihm favorisierten Regierungsform den Namen gab: Absolutismus), skizziert er in seinem Buch bereits die Regierungsform, die die Nachfolger der Valois, die Bourbonen, perfektionieren sollten. Was Bodin sich weigerte vorher zu sehen, ist der Umstand, dass – anders als er es in der Theorie formulierte – keineswegs nur gute und gerechte Herrscher sich von dieser Regierungsform angezogen fühlen würden. Er hätte sich vielleicht einmal die Familien der Franzosen aller Stände – denn Familienväter sind ja das Vorbild seines absoluten Herrschers – genauer ansehen sollen. Und, auf der anderen Seite, das andere Vorbild: Gott, den absoluten Herrscher über den Menschen, und den Machtmissbrauch, den man ihm, so man gewollt hätte, schon zu Bodins Zeit in der Bibel und bei seinen Stellvertretern auf Erden, der (katholischen) Kirche, problemlos nachweisen konnte. Aber davor scheute Bodin eben so sehr zurück, wie vor allem, was nur ein wenig nach „Anarchie“ roch, und was für ihn wohl gleichbedeutend mit Atheismus und schwärzester Todsünde war.
Fazit: Interessant, wenn auch – anders als Montesquieu – von der Geschichte überholt. Ich denke deshalb, dass eine Auswahl wie die vorliegende völlig genügt, um Bodins Staatstheorie zur Kenntnis zu nehmen.
*) = RUB 9812
**) Selbst wenn der Text (natürlich) auch eine Parteischrift war, denn Bodin nimmt ganz eindeutig die Seite des französischen Königtums ein, das zu jener Zeit die drei letzten Valois inne hatten, die entweder schwach und zu jung waren, um wirkungsvoll eingreifen zu können, oder die schwankend mal eine, mal die andere Partei unterstützten, wobei sie dann gleich zu den gröbsten Mitteln wie Mord und Totschlag griffen – was Bodin per se nicht unterstützte. Dennoch aber stellte für ihn die Figur eines souveränen Königs die bestmögliche Regierungsform dar. Mit diesem Text hier versuchte er, der unterdessen nicht mehr Mitglied des Parlament war, noch einmal in die aktuelle Diskussion um die beste Staatsform für Frankreich einzugreifen.