Per Daniel Atterbom: Reisebilder aus dem romantischen Deutschland

Atterbom, geboren 1790 in der schwedischen Provinz, legte sich als junger Mann als dritten Vornamen ‚Amadeus‘ bei – in Verehrung des deutschen Autors E. T. A. Hoffmann. Atterbom war zu diesem Zeitpunkt bereits einer der führenden Vertreter der romantischen Kunstrichtung in Schweden. Im Übrigen zeigt der erste Satz schon die ganze Problematik und das ganze Wesen Atterboms: Er war nicht nur Romantiker, er war als solcher auch Epigone. Als er mit 17 seine erste literarische Gesellschaft gründete, um dann ungefähr 10 Jahre lang eine der Speerspitzen der schwedischen Romantik zu sein, hatte die deutsche Romantik, an der sich die Schweden orientierten, ihre ganz große Zeit bereits hinter sich oder jedenfalls nicht mehr vor sich. Novalis war gestorben; Friedrich Schlegel würde er auf seiner Reise als feisten Prälaten in Wien antreffen; dessen Bruder August Wilhelm hatte offenbar aus einer ersten gescheiterten Ehe und der seltsamen Liaison mit der Frau von Staël nichts gelernt und machte sich gerade mit öffentlich ausgetragenen Zwistigkeiten über ihr Intimleben mit seiner zweiten, rund zwanzig Jahre jüngeren Frau lächerlich.

Es ist den schwedischen Romantikern zu Gute zu halten, dass sie im eigenen Land auf eine – im Vergleich mit der deutschen – zurückgebliebene literarische Situation trafen. Die Gruppe um Atterbom musste sich noch gegen die herrschende klassizistisch-normativ Tendenz der Literatur(-Kritik) zur Wehr setzen. So kam es, dass diese Romantik auch noch Züge vorwies des Sturm und Drang, jedenfalls, was den literaturtheoretischen Kampf betrifft. Atterbom und seine Freunde waren die ersten, die in Schweden mit Vehemenz die Position vertraten, dass nicht die Regel den Dichter definiere, sondern der Dichter die Regel. Vor allem Atterbom setzte sich derart engagiert für die neue romantische Position ein, dass seine Freunde um seine Gesundheit zu fürchten begannen. Sie sammelten Geld, um ihm eine Reise nach Deutschland zu ermöglichen. Vor allem die Übermutter der schwedischen Romanik, Amalia von Helvig, trug einiges dazu bei, indem sie nicht nur selber Geld spendete, sondern auch ihre Beziehungen spielen ließ. Die waren vor allem in Deutschland nicht gering. Amalie von Helvig war eine gebürtige Deutsche (sie lebte zum Zeitpunkt von Atterboms Reise denn auch schon wieder in Berlin). Vor ihrer Ehe mit einem schwedischen Oberst war sie als Amalie von Imhoff Teil des Kreises um die Herzogin Anna Amalia in Weimar. Sie schrieb selber, und das eine oder andere wurde von Goethe und Schiller in ihre Zeitschriften aufgenommen. Das sagt nichts über ihre literarische Qualität,die eindeutig gegen Null tendierte, was zum Schluss sogar Goethe einsah, als er seinen Versuch, einen ihrer Romane so zu redigieren, dass er einer Publikation würdig wäre, nach sechs Monaten intensiver Arbeit daran einstellte. Dennoch verfügte Amalie aus jener Zeit über literarische Konnexionen.

Im Juli 1817 betrat Atterbom bei Stralsund deutschen Boden. Er war ein fleißiger Korrespondent und schilderte seine Erlebnisse in kräftigen satirischen Farben seinen Freunden in Uppsala. Nur wenn ihn die Melancholie (wie er es nannte) mal wieder packte, klagte er über Gott und die Welt. Seine Reise führte ihn – meist mit längeren Aufenthalten an (literarisch) wichtigen Orten – über Greifswald (von wo er mit seiner Schilderung des alten Kosegarten eine erste Probe seiner satirischen Begabung liefert) nach Berlin, Dresden, Plauen, Hof, Bayreuth, Nürnberg und München. Von dort unternahm er einen ursprünglich nicht vorgesehenen Abstecher nach Rom, wo er in der Gesellschaft jener deutschen Maler lebte, die später den Namen der ‚Nazarener‘ erhalten würden. Zurück in den Norden ging es über Wien, Breslau und noch einmal Berlin.

Über die von Amalie von Helvig angebahnten Verbindungen, aber auch kraft seines eigenen, offenbar etwas bübischen Charmes, lernte Atterbom ungefähr jeden Maler, Bildhauer oder Dichter kennen, den Deutschland und Rom anzubieten hatten. Wie schon im ersten Abschnitt angedeutet, handelte es sich aber im Grossen und Ganzen um die zweite oder dritte Generation der deutschen Romantiker – die meist auch die zweite oder dritte Garde in künstlerischer Hinsicht darstellten: Rückert, Zacharias Werner, beide Müller (den Griechen-Müller wie den Maler Müller – den er wegen der Darstellung eben dieser Gestalten in seinem Faust-Drama den Teufels-Müller nennt), Fouqué, Klingemann, Therese Huber, Uhland oder Hammer-Purgstall möchte ich hier einfach nennen. Von der älteren Generation traf er nur Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar mied er trotz seiner Bewunderung für den Großherzog Carl August wegen seiner gelassenen Reaktion auf das Wartburgfest. Goethe, den Atterbom ansonsten sehr verehrte, hatte ihn mit einer negativen Äußerung vergrämt, die Johann Heinrich Meyer in seiner Kunst-Zeitschrift über die Gruppe junger Maler in Rom getätigt hatte. Atterbom ging wohl zu Recht davon aus, dass Meyer hier auch Goethes Sprachrohr war. Zu E. T. A. Hoffmann vorzudringen, gelang ihm nicht; einzig, dass er ihn am Fenster erblickte, wie er dem Brand des Berliner Opernhauses zusah – ein Bild, das bis heute bei der Nennung von Hoffmann aufgerufen wird. Zu Jean Paul hatte ihm Amalie von Helvig den Weg mit einem Empfehlungsschreiben geebnet; er war bei seinem kurzen Besuch aber offenbar mehr von dessen ältester Tochter fasziniert. Einzig mit Ludwig Tieck war er über längere Zeit recht intim bekannt – aber gerade dieser Mann bleibt in seinen Briefen seltsam farblos.

Was ihm literarisch nicht so recht gelang – nämlich Bekanntschaft oder Freundschaft zu knüpfen mit den ganz Großen der Zeit – gelang ihm dafür philosophisch. Fichte und Kant zwar lebten auch nicht mehr zum Zeitpunkt seiner Reise. Aber er traf Schleiermacher, Hegel und Solger in Berlin und befreundete sich gar mit Schelling in München. Schelling ist denn auch der einzige, bei dem er sich jede Satire versagt – er schwärmt in höchsten Tönen von ihm und seiner zweiten Frau.

Auch Politisches mischt sich immer wieder, mehr oder weniger explizit, in seine Briefe. Nicht nur die schwedische Politik (die ja hauptverantwortlich für die „rückständige“ Situation der schwedischen Literatur war), auch die Entwicklung in Deutschland, das mehr und mehr unter die Fuchtel restaurativer Kräfte geriet. Vor allem Wien – das Zentrum dieser Bewegung – wurde ihm deswegen verleidet: Zensur allerorten. (Ein wunderschönes, aber auch bedrückendes Beispiel liefert seine Erzählung von einer Diskussion mit dem jungen Grillparzer.)

Aus den ursprünglichen Briefen an Freunde wollte Atterbom noch selber einen kohärenten Reisebericht erstellen. Über mehr als die ersten rund hundert Seiten ist er aber dabei nicht herausgekommen. Obwohl er noch lange genug Lebenszeit dafür gehabt hätte, blieb der Bericht als Bericht liegen, wohl auch, weil der unterdessen wohlbestallte Professor der Ästhetik seine Zeit für seine wissenschaftlichen Arbeiten verwendete. Der Text wurde postum mit den Briefen an die Freunde ergänzt und 1867 herausgegeben. Das ist wohl der Grund, weshalb – trotz der unbestreitbaren Tatsache, dass die Reise für Atterbom ein wichtiges Bildungserlebnis gewesen war – dieser Text weder im deutschen noch im schwedischen Wikipedia-Artikel über ihn aufgeführt wird.

Das Buch erschien 1867 von Franz Maurer übersetzt in Berlin. Diese Übersetzung ist nicht ganz zuverlässig und übersetzt nicht das ganze Werk, ist aber bis heute die einzige geblieben. Wer also zufälligerweise in einem Antiquariat über dieses Buch stolpert und sich für die Figuren der romantische Epoche interessiert, sollte es mitnehmen. Es gibt neu nur die Version der stark gekürzten ‚Notausgabe‘ aus dem Jahr 1947 unter dem Titel Menschen und Städte, die ein Reprint-Verlag anbietet. Es ist zwar dieselbe Übersetzung, dennoch ist diese Ausgabe offenbar wenig zuverlässig und hat zum Beispiel die besuchten Orte und Männer willkürlich neu sortiert.

Schade, dass Atterboms Bericht offenbar selbst in seiner Heimat wenig bekannt ist, denn er ist durchaus lesenswert.

1 Reply to “Per Daniel Atterbom: Reisebilder aus dem romantischen Deutschland”

  1. Im StaBiKat findet man:
    Reisebilder aus dem romantischen Deutschland ; Per Daniel Amadeus Atterbom ; Jugenderinnerungen eines romant. Dichters u. Kunstgelehrten aus d. Jahren 1817 bis 1819. (Neu hrsg. von Elmar Jansen nach d. Erstdr.)
    Atterbom, Per Daniel Amadeus *1790-1855*
    Jansen, Elmar
    Stuttgart : Steingrüben, (1970)
    438 S. 8″
    (Bibliothek klassischer Reiseberichte)
    (Minnen från Tyskland och Italien, Ausz., deutsch)

    Das steht schon lange auf meiner Liste des noch zu Lesenden, aber wie das so geht. Außerdem ist inzwischen die Bibliothek mehr oder weniger verrammelt, Abholung nur noch mit Anmeldung, Termin, demnächst wahrscheinlich auch negativem Test und was nicht noch alles, und nur am Vormittag geöffneter Leihstelle, was schon gar nicht nachvollziehbar ist.

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