Niccolò Machiavelli: Der Fürst [Il Principe]

Wann immer staatsphilosophische oder -theoretische Fragen zur Diskussion stehen, wird früher oder später – meist früher – der Name Machiavellis fallen und des einzigen Textes, der von ihm die Zeiten wirklich überlebt hat. Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich, ist es bei Diskussionen zu Staatsutopien bzw. -dystopien. Bis heute wird Machiavelli dann jeweils meist die Position des zynischen (wenn man ihm böse will) oder auch einfach nur realistischen (wenn man ihm gut will) Theoretikers und Verfechters einer auf bloße Macht ausgerichtete Politik zugewiesen.

Diese Zuschreibung übersieht so einiges. Machiavellis Text hatte ursprünglich eine ganz andere Funktion – sowohl in der Reihe der eigenen Texte wie auch im weiteren historischen Kontext, in dem und für den er verfasst worden ist. In der Reihe der eigenen Texte stellt er eine Coda dar zu seinen Discorsi, einem bedeutend ausführlicheren Text, in dem er die politphilosophische Bedeutung eines funktionierenden Staats erörtert. Und das ist dann zugleich der weitere historische Kontext, in dem und für den Der Fürst geschrieben wurde: der Zerfall des aus dem Mittelalter stammenden Gleichgewichts einer Handvoll Stadtstaaten in Italien. Dieses Gleichgewicht konnte sich für Machiavelli nur so lange halten, als die Völker (d.i.: die Einwohner der Stadtstaaten) fähig waren, selber politisch zu leben und zu handeln, oder ob sie dazu verdorben waren.

Das ist ein Argument, das in der heutigen politischen Philosophie obsolet geworden ist – man traut sich nicht mehr, mit Völkern und so etwas wie einem Volkscharakter eine ernsthafte, wissenschaftliche Diskussion zu führen. Machiavelli, der ja über lauter italienische ‚Völker‘ sprach, konnte das noch. Und er konnte es bedauern, dass diese Völker ihren politischen Instinkt verloren hatten. Da sie von sich aus nicht mehr in der Lage waren, einen funktionierenden Staat zu errichten oder erhalten, mussten sie, so Machiavellis Argumentation, von außen, von ‚fremden‘ Fürsten dazu gezwungen werden. Und darum geht es in diesem Text: Kann ein ‚Fremder‘ (der unter Umständen einfach aus der Nachbarstadt stammt) in einem solchen Stadtstaat herrschen? Welche Mittel kann oder sollte er anwenden, um zur Herrschaft zu gelangen? Welche, um an der Herrschaft zu bleiben?

Denn – und das steht hinter dem ganzen Fürsten: Es ist nach Machiavellis Ansicht immer noch besser für das italienische Volk – egal aus welchem Stadtstaat – von einem Italiener beherrscht zu werden – egal aus welchem Stadtstaat, und egal mit welchen Methoden – als von ‚wirklichen‘ Ausländern. Die Zeit Machiavellis war nämlich auch die Zeit, in der Italiens Staaten von ausländischen Mächten heimgesucht wurden: Frankreich und Spanien eroberten – mal nur kurzfristig, mal aber auch für längere Zeit! – Teile italienischen Territoriums. Und vor allem breitete sich der Kirchenstaat rapide aus und gewann auch an weltlicher Macht.

Machiavelli nimmt seine Beispiele aus der gerade verflossenen Vergangenheit Italiens, aber auch aus den Kämpfen der antiken griechischen Stadtstaaten untereinander und mit größeren externen Feinden, sowie – last but not least – aus der Römischen Geschichte.

Wer mag – und das ist sehr erhellend, wie ich finde – kann auch einer Anregung des Herausgebers meiner Ausgabe folgen und an die Stelle der italienischen Stadtstaaten der Renaissance-Zeit industrielle Unternehmen des Früh- oder Hochkapitalismus setzen. Die Regeln für die Verwaltung unfreundlich übernommener Konkurrenten sind dieselben, wie sie Machiavelli für eroberte Staaten formuliert. Und, möchte ich persönlich hinzufügen, Machiavellis Fürsten mit dem oberen und obersten Management heutiger Großbanken zu vergleichen, ist auch sehr erhellend.


Niccolò Machiavelli: Der Fürst. Aus dem Italienischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski. Mit einem Nachwort von Horst Günther. Frankfurt a.M.: Insel, 1997 (= insel taschenbuch 2137)

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