John Bunyan (1628-1688) war von Haus aus ein einfacher Kesselflicker (wie schon sein Vater) und hatte gerade mal die minimale Schulbildung durchlaufen, die zu seiner Zeit ein einfacher Handwerker halt so durchlief. Nach einer Zeit als Soldat im englischen Bürgerkrieg kehrte er in seine Heimat und zu seinem Handwerk zurück. Dann aber erlebte er eine tiefgreifende geistliche Krise. Er bekehrte sich zum christlichen Glauben und trat in eine Baptistengemeinde ein. Dort stieg er rasch zum Prediger auf. Da er sich nicht der anglikanischen Kirche unterstellte, wurde er verhaftet und musste die nächsten zwölf Jahre im Gefängnis verbringen, und drei Jahre nach seiner Entlassung, 1678, noch einmal sechs Monate. In dieser Zeit schrieb er wahrscheinlich das vorliegende Werk – das bekannteste seiner Schriften.
The Pilgrim’s Progress (wie ich das Werk kurz nennen will) schildert in Form einer Allegorie den Weg eines Christen von seiner Bekehrung bis zu ewigen Seligkeit im Himmel. Das Buch ist vor allem als Bekehrungsschrift gedacht, sein literarischer Wert nicht gerade riesig. Bunyan schildert in Form einer Reise (genauer: einer Pilgerfahrt), wie ein Mann namens Christian (was im Englischen sowohl ein Vorname ist wie die Bezeichnung eines Angehörigen des christlichen Glaubens) sich auf den Weg zum himmlischen Jerusalem macht. Er trifft unterwegs auf verschiedene Hindernisse und Versuchungen, die teils die Form geografischer Gegebenheiten annehmen, teils die von anderen Menschen. Alle tragen dabei sprechende Namen. Selbst mit dem Teufel in Person kämpft Christ, der ihn in der Gestalt des Drachen Apollyon angreift. Beinahe unterliegt Christ – erst im letzten Moment kann er sein Schwert, das er bereits verloren hatte, noch einmal fassen und den Drachen tödlich verletzen. Zum Schluss findet er denn auch Einlass in die himmlische Stadt – ein Einlass, der natürlich erst mit dem Tod Christians erlangt wird.
Das Buch erhielt 1684 eine Fortsetzung, in der geschildert wurde, wie Christiana, die Gattin Christians, die zunächst zu Hause in der Stadt Zerstörung (Destruction) geblieben war, ja den guten Christians verlacht hatte ob seiner Erweckung – wie diese Christiana also, zusammen mit den Kindern und einer jungen Nachbarin sich ihrerseits auf den Weg macht. Waren schon im ersten Teil die meisten „Abenteuer“ Christians reine Wortgefechte, die er sich mit den Bösen und Faulen lieferte, so nimmt das im zweiten Teil definitiv überhand. Praktisch alle Gefahren und Nebenwege, auf die sich Christ noch verirrt hatte, sind mit Warntafeln ausgeschildert oder gar zugemauert, viele der Bösen offenbar nicht mehr existent. Wollte Bunyan aus literarischen Gründen einer Frau keine ähnlichen Versuchungen zuschreiben wie einem Mann? War er der Meinung, dass eine Frau tatsächlich weniger Anfechtungen auszustehen hätte? Oder war es gar, dass er dachte, dass tatsächlich viele der äußeren Gefahren, die einem echten Christen drohten in den paar Jahren seit dem ersten Teil sich vermindert hatten? Wir wissen es nicht. Jedenfalls kommt auch diese Reisegruppe schließlich ans Ziel.
Dialoge sind häufig und in allen Fällen mehr oder weniger religiöse Streitgespräche; daneben finden wir nur wenig Handlung und einen Haufen einfach gestrickte Allegorien. Literarisch ist das Werk von untergeordnetem Rang. Es war ja auch nie als Roman, als literarisches Werk, gedacht. Kultur- und literaturgeschichtlich hingegen darf es dennoch nicht unterschätzt werden – jedenfalls, was seinen Einfluss im englischsprachigen Raum betrifft. Im deutschen Sprachraum hat der Text nie größere Bekanntheit erlangt (außer, dass ich mich erinnere, dass es, zumindest vor rund 50 Jahren noch, in gewissen freikirchlichen Kreisen (vulgo: protestantischen Sekten) hierzulande viel gelesen und weiter empfohlen wurde). Im englischen Raum aber verbreitete sich die Pilgerreise sehr stark, und selbst weniger religiös gesinnte Autoren konnten darauf anspielen und sich darauf verlassen, dass ihr Publikum diese Anspielungen verstand. Ein paar Beispiele seien genannt: Oliver Twist von Charles Dickens trägt den Untertitel The Parish Boy’s Progress, The Innocents Abroad von Mark Twain The New Pilgrim’s Progress; Vanity Fair ist nicht nur der Titel eines Romans von Thackeray – es war zuerst der Name einer Stadt, in der Christ einige seiner wichtigsten (und schlimmsten) Abenteuer erlebt; C. S. Lewis schrieb ein Buch mit dem Titel The Pilgrim’s Regress und John Buchan (den ich hier eines Tages auch noch vorstellen will) nannte einen seiner Thriller um Richard Hannay Mr. Standfast, nach einer der allegorischen Gestalten Bunyans. Unterschwelliger ist der Einfluss von Bunyans christlichen Allegorisierungen zum Beispiel bei jenem anderen Laienprediger zu finden, George MacDonald. Von dort wiederum floss Bunyans Allegorisierungs-Fimmel einigermaßen ungefiltert auch in die Perelandra-Trilogie von C. S. Lewis oder seine Narnia-Bücher, besser gefiltert (denn er war der bessere Autor!) in die Mittelerde-Stories von J. R. R. Tolkien. Während das Motiv der Quest keineswegs Bunyans Erfindung ist, sondern bereits in dem mittelalterlichen Heldenepen zu finden ist (ich weiß nicht, ob Bunyan diese kannte, wahrscheinlicher ist, dass auch hier sehr viele kleine unterirdische und fast nicht auffindbare Motiv-Rinnsale sich in der Trivialliteratur wieder gefunden haben, die Bunyan gelesen haben könnte) – während das Motiv der Quest also (vor allem bei Tolkien) kaum von Bunyan hergeleitet werden kann, ist der Kampf des Guten gegen das Böse, ja gegen den Teufel in Person, wohl wirklich dem alten Kesselflicker zu verdanken.
Alles in allem ein Buch, das man liest, weil es sehr viele andere gelesen haben, die man heute eher liest als dieses Buch.