Jean-Louis Giovannoni: Den Toten bewachen / Garder le mort

Dieses schmale Büchlein bringt die Gedichtsammlung Garder le mort des Franzosen Jean-Louis Giovannoni in einer zweisprachigen Edition: französisches Original mit deutscher Übersetzung. Schon beim Titel der Sammlung (die auch eine Zeile eines der Gedichte ist) zeigt sich die Problematik beim Übersetzen von Lyrik, wo Wörter oft nicht nur doppelsinnig verwendet werden, sondern in allen möglichen Bedeutungen schillern, die ihnen der Sprachgebrauch der Ursprungssprache gibt und die in der gängigen deutschen Übersetzung (oder den gängigen deutschen Übersetzungen) nicht mitschwingen. In einem Vorwort (Zum Buch und zur Übersetzung) geben die beiden Übersetzer denn auch zu, dass der Titel praktisch nicht zu übertragen war, denn „garder“ hat im Französischen viel mehr Bedeutungen als nur „bewachen“. Das Wort kann auch verwendet werden für „an sich nehmen“, „achten auf“, „bewahren“, „bei sich behalten“, und sogar „für sich vereinnahmen“. Ja, bei Giovannoni, der korsisch-italienische Wurzeln hat, bin ich nicht einmal sicher, ob nicht auch das italienische Wort „guardare“ mitschwingt: betrachten, zuschauen.

Denn genau das tun wir als Lesende hier. Giovannoni schildert das Sterben und den toten Körper eines anonymen Menschen. Er verwendet Umgangssprache, aber er kann damit formvollendete, schön schwingende Sätze bilden. Die einzelnen Gedichte sind kurz – Momentaufnahmen. Momentaufnahmen sind sie auch in dem Sinn, dass der Dichter nur erzählt, was man sehen kann. Er hütet sich vor jedem Ausflug in die so genannte Metaphysik. Kein Jenseits, keine Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tod, keine Seele. Nur Körper. Zuerst sterbender Körper, dann toter Körper. Man könnte von materialistischer Lyrik sprechen, oder von atheistischer. (Denn selbstverständlich kommt auch kein Gott vor.) Und gerade durch die Abwesenheit so genannt metaphysischer Entitäten gelingt es Giovannoni, die Härte und Unerbittlichkeit des Sterbens und des Todes aufzuzeigen. Wirklich ein, wie es die Übersetzer in ihrem Vorwort formulieren, hartes Buch.

Ich kann es nur empfehlen.


Jean-Louis Giovannoni: Den Toten bewachen / Garder le mort. Gedichte. Deutsch von Paula Scholemann und Christoph Schmitz-Scholemann. Nachwort von Éric Vuillard. Coesfeld: Elsinor Verlag, 2022 [sic!].

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