Alfred Edmund Brehm: Brehms Tierleben

Richard Katz hat in einem seiner Bücher sinngemäß geschrieben, dass jeder Tierfreund Brehms Tierleben lesen sollte – allerdings in der Originalausgabe, die noch von Brehm selber verfasst ist. Denn Brehm – so Katz immer noch sinngemäß – weist nicht nur ein profundes Wissen auf, er drückt auch in jedem einzelnen Abschnitt seines Tierlebens eine ungeheure Tierliebe aus. Damit ist eigentlich schon das Wichtigste über Brehms Tierleben gesagt: Brehm vereinigt tatsächlich profundes Wissen mit großer Tierliebe, und diese Tierliebe zeigt sich in jedem Satz. Natürlich ist es so, dass sie sich bei warmblütigen Tieren und allgemein Tieren, die dem Menschen irgendwie näher stehen, noch besser zeigt als zum Beispiel bei den Quallen.

Brehms Tierleben ist mehr als ein simples Lexikon. Selbstverständlich bringt Brehm auch fachliche Informationen: Ernährungsweise, Fortpflanzung, durchschnittliche Lebensdauer, eventuelle biologische Spezifikationen – das alles liefert er auch. Das Wissenswerte verpackt er aber immer ins Vergnügliche. Anekdoten, eigene und fremde, illustrieren die theoretischen Aussagen. Brehm kennt nicht nur die alten und die neuen Forscher, kennt nicht nur Aristoteles, Plinius, den Prinzen zu Wied, Alexander von Humboldt, Darwin, Linné oder Wallace, er kennt auch die großen Reisenden: Pausanias, Levaillant, Pallas, Marco Polo oder Olaus Magnus. Er kennt die Dichter: Wilhelm Busch, Freiligrath, Rückert und Dante. Selbst in Historikern wie Sueton oder Johannes Müller findet er brauchbare Anekdoten aus dem Tierreich.

Wichtig ist bei Brehms Tierleben vor allem, dass er den Tieren durchaus Seele und ein Gefühlsleben zuspricht. Tiere sind für ihn, anders als für Descartes, die katholische Kirche oder auch die zeitgenössische Zoologie, nicht einfach nur biologische Automaten. Und diese Tierliebe nimmt man ihm selbst noch dann ab, wenn er davon erzählt, wie dieses oder jenes Tier gejagt wird. Denn noch sind wir mit Brehms Tierleben in einer Zeit – die zweite Auflage erschien zwischen 1876 und 1879 – in einer Epoche also, in der es als selbstverständlich galt, dass auch Biologen Tiere auf freier Wildbahn erschossen, um an Forschungsmaterial zu kommen. Ebenso, wie es selbstverständlich war, dass man exotische Tiere mit nach Europa zurück brachte, um sie in zoologischen Gärten auszustellen. Doch Brehm war auch einer der ersten, der das Verhalten von Tieren in freier Wildbahn studierte und beschrieb. Wissenschaftlich ist vieles von dem, was Brehm in seinem Tierleben bringt, längst nicht mehr gültig. Schon seine eigene Zeit wies ihm einige Fehler nach. Aber die tierischen Charaktere, die er zeichnet, sind nach wie vor unterhaltend und anziehend.

Nun ist es nicht jedermanns Sache, ein zehnbändiges Lexikon von vorne nach hinten durchzulesen. Deshalb gibt es heute mehrere Auswahlbände. In meinem Fall hat sich Roger Willemsen verdient gemacht und das besorgt: Er hat einige der besten und schönsten Tiergeschichten ausgezogen und in einem Band vereinigt. Dank ihm kann ich bezeugen: Brehms Tierleben ist ein populärwissenschaftliches Buch im besten Sinn des Worts.


Alfred Edmund Brehm: Brehms Tierleben. Die schönsten Tiergeschichten ausgewählt, eingeleitet und mit einem Nachwort versehen von Roger Willemsen. Frankfurt/M: Fischer, 2006. (Gelesen in einer Lizenzausgabe der Büchergilde)

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