Adolf Trendelenburg: Logische Untersuchungen. Erster Band.

Weiße Schrift auf dunkelblauem Grund: "Logische Untersuchungen von Adolf Trendelenburg". Ausschnitt aus Buchcover.

Die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts hat es um ein Haar zu Stande gebracht, den Begriff der „Logik“ derart zu verformen (um nicht zu sagen: pervertieren), dass von dem, was Aristoteles noch darunter verstand, die Scholastiker und auch noch Kant, kaum mehr etwas übrig blieb. Wobei Kant an dieser Entwicklung wohl nicht ganz unschuldig ist: Sein Begriff des Dings an sich, eines Etwas, das sich unserer Erfahrung verschließt, hat die Beziehung zwischen dem Denken und dem „realen Sein“ doch ziemlich gelockert. Während bei Aristoteles die Logik noch dazu diente, von einer „wahren“ Aussage zu anderen wahren Aussagen kommen zu können (und „wahr“ ganz einfach meinte, dass die Aussage einer Tatsache in der Realität zugeordnet werden konnte), war das seit Kant, wo die „wahre Realität“ nicht mehr der Erfahrung zugänglich war, plötzlich anders geworden. Somit wandelte sich auch der Begriff „Logik“. Statt einer Wissenschaft oder Kunst, Aussagen so zu kombinieren, dass korrekte Folgerungen gezogen werden konnten, konnte sie nun irgendwelche metaphysischen Aussagen treffen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war sicher mit Hegels dialektischer Logik erreicht.

Trendelenburg seinerseits, der Hegels Logik oft und harsch als inhaltslos und leer kritisierte, konnte sich ihrem Sog doch nicht so ganz entziehen. Auch er suchte in seiner Philosophie nach einer ganzheitlichen Sicht der „Welt“ bzw. einem einheitlichen Ordnungsprinzip, das ontologisch wie erkenntnistheoretisch vorliegen könnte. Im vorliegenden Buch, das also wenig mit „Logik“ im heutigen oder im Aristotelischen Sinn zu tun hat, sondern viel mehr eine metaphysische Beschreibung der Grundprinzipien der Welt und deren Erkenntnis zu liefern versucht, glaubt er nun, diese alles übergreifende Ganzheit im Prinzip der Bewegung gefunden zu haben. Alles ist Bewegung: das Erkennen, das sich im Nach- und Hintereinander von Raum und Zeit abspielt, ebenso wie die ontologische Struktur der Dinge (um es mal salopp zu formulieren). Das Ganze wird in Auseinandersetzung nicht nur mit Hegel, sondern auch mit Herbart entwickelt. Trendelenburg ist dabei einer der ersten, der die Erkenntnisse der Naturwissenschaften in die Philosophie einfließen ließ. Vielmehr: Er versuchte, im Sinne einer ganzheitlichen Theorie den Naturwissenschaften eine gemeinsame Struktur in eben der Bewegung zu oktroyieren. Das wirkt auf uns heute etwas seltsam, weil – von den drei Wissenschaften, die Trendelenburg im ersten Buch hauptsächlich beschäftigen – die Physik und die Mathematik (er meint aber meist die Geometrie des 19. Jahrhunderts) noch die von Newton bzw. Euklid waren, was Trendelenburg über Raum und Zeit sagt, also für uns Heutige schon fast bizarr anmutet; nur in der Physiologie war die Wissenschaft schon weiter. Aber Trendelenburgs exaktes Referieren der Äther-Theorie in der Physik kann uns heute kaum mehr interessieren.

Dabei, und das muss festgehalten werden, war Trendelenburg auch mit dieser seiner Theorie, oder besser gesagt mit dem Rückgriff auf die Zeit vor Hegel, auf Aristoteles und auf Kant, sehr wohl zukunftsweisend. Denn dieser Rückgriff, zusammen mit einer intensiven Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften sollte für die nachfolgende Generation von Philosophen richtungsweisend werden: Die Neukantianer Cohen, Vaihinger und Dilthey waren seine Schüler. Auch Frege hat Trendelenburg gelesen. Mit dem Neukantianismus einerseits, Frege andererseits, aber fand auch die deutsche Philosophie wieder den Ausweg aus der Sackgasse des Hegelianismus.


Ich habe im Moment nur den ersten Band der Logischen Untersuchungen gelesen, in Form der zweiten, ergänzten Auflage von 1862. (Im Vorwort zu dieser Auflage wundert sich Trendelenburg, nebenbei gesagt, ein wenig darüber, dass seine Ausführungen zwar auf heftige Kritik der Hegelianer gestoßen seien, seine Kritik an Herbart aber bei dessen Schülern nur wenig Echo hervorrief. Nun, was 1862 wohl noch nicht ganz abzusehen war: Herbart ist als Philosoph rasch von der Bildfläche verschwunden, was länger blieb, war nur der Psychologe und der Pädagoge. Kein Wunder, interessierten sich seine Schüler kaum mehr für philosophische Auseinandersetzungen.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert