Robert Louis Stevenson: Across the Plains / Travels from Scotland to California

Auf bordeau-rotem Hintergrund die Zeichnung einer typischen US-amerikanischen Dampflokomotive im Ausschnitt. Man sieht den obersten Teil des Führerhauses, die typische riesige Frontlaterne und den typischen trichterförmigen Kamin. Ausschnitt aus dem Buchcover, gezeichnet von Nick Hardcastle.

Across the Plains

Unter diesem Titel veröffentlichte R. L. Stevenson den zweiten Teil des Berichts von seiner Reise als Immigrant in die USA, die er 1879 machte. Stevenson hat seinen Bericht darüber in drei Teilen geliefert, die unabhängig von einander in größeren Pausen erschienen sind: The Amateur Emigrant (verfasst 1879/80, aber erst 1895 veröffentlicht) schilderte die Überfahrt von Europa nach den USA; The Silverado Squatters (1883 verfasst und veröffentlicht – er hat also den Schluss als erstes dem Publikum vorgelegt) behandelte seine Tage in einer alten Silbermine im Napa Valley; das vorliegende Across the Plains hat er ebenfalls 1879/80 geschrieben und „schon“ 1892 veröffentlicht.

In diesem kurzen Bericht verfolgen wir Stevenson, wie er mit seinem Schiff in New York ankommt, sowie seine Reise mit der Eisenbahn bis zu seiner Ankunft in Monterey, Kalifornien. Es fällt sofort ins Auge, dass hier nicht mehr der unbesorgte Dandy der Kanufahrt auf der Oise von Belgien nach Frankreich schreibt. Der Ton von Across the Plains ist düster – denn auch das Thema ist düster. Schon die Ankunft im Hafen von New York ist purer Horror für die Immigranten. Zur Überfahrt von ihrem Hochseeschiff aufs Festland werden sie – nach langem und zermürbendem Warten – in viel zu kleine Schiffe gepfercht, und auch an Land geht es so weiter. Eng zusammengequetscht warten sie stundenlang auf die Abfertigung. Das Personal ist gestresst und hat kein freundliches oder auch nur höfliches Wort für die Ankömmlinge übrig. (1879 stand weder die Freiheitsstatue im Hafen, noch – viel wichtiger! – die relativ großzügigen Empfangsanlagen der Einwanderungsbehörden. Hinzu kam, dass Stevenson an einem Montag ankam. Weil aber am Wochenende die Behörden nicht arbeiteten, hatten sich die Ankömmlinge mehrerer Schiffe angestaut.)

Einmal durchgekommen, waren die Immigranten dann aber auf sich selber gestellt. Sie mussten sich ihre Unterkunft – eine möglichst billige natürlich – selber suchen. In Verbindung mit den Horrorgeschichten, die schon auf dem Schiff zirkulierten, über die Verbrechen, die an den harmlosen Immigranten in New York begangen wurden, sollte man sich nicht wundern, dass selbst für die übermüdeten Einwanderer an Schlaf zunächst kaum zu denken war.

Endlich auf den Zügen angekommen, die sie nach Westen führen sollten, besserte sich die Lage für die Angekommen aber keineswegs. Auch diese Züge waren überfüllt und stanken. Die Schilderung der Fahrt durch die Ebenen von Nebraska, wo nichts darauf hinwies, dass man sich bewegte, weil keinerlei Landmarken zu sehen waren, vermitteln sehr gut den Horror, den Stevenson dort verspürte. Dass er unterdessen krank geworden war und hohes Fieber hatte, verbesserte seine persönliche Lage keineswegs. Die Ankunft in Monterey muss eine Erlösung für ihn gewesen sein – auch wenn, wie wir wissen (er hier aber nicht erwähnt), er dort ein paar Wochen zwischen Leben und Tod schwebte.

Ach ja: der Grund für diese seine Reise. Auch darüber verliert Stevenson in Across the Plains kein Wort. Je nun, cherchez la femme: Es war die gleiche Frau, die ihn schon auf die Wanderung durch die Cevennen getrieben hatte, und mit der er sich nun definitiv verbinden wollte: Frances „Fanny“ Matilda Van de Grift Osbourne.

Travels from Scotland to California

Unter diesem Titel hat meine Ausgabe (London: Folio Society, 2004) verschiedene kleine Reisevignetten zusammengestellt. Ich bin nicht sicher, ob die schon in der Swanston Edition von 1911/12 unter diesem Titel zusammengestellt worden waren, auf die sich die Ausgabe von 2004 hier bezieht.

Nicht alles hier sind eigentliche Reiseberichte. Der Text über Edinburgh zum Beispiel stellt eher eine Erinnerung dar von Stevenson an seine alte Heimatstadt – geschrieben mit aller Hass-Liebe, die man oft für seine Heimat und seine Herkunft empfindet. Eine andere Geschichte erzählt, wie Stevenson als Heranwachsender seinen Vater zum ersten Mal auf eine seiner Inspektionsreisen begleiten durfte. Dieser war nämlich nicht nur Erbauer von Leuchttürmen, er war auch von Staates wegen zu deren Inspektionen verpflichtet. Dann folgen diverse kleine Text über Fußreisen, die Stevenson in England unternommen hat (inklusive einer Meditation darüber, warum England einem Schotten fremder vorkommen konnte als Festland-Europa, und Anleitungen dazu, wie man am besten zu Fuß unterwegs ist, die in ihrer Art sehr an jene von John Burroughs erinnern). Diese „britischen“ Reisen (wie ich sie jetzt einmal nenne) sind allesamt recht heiter, in vielen Fällen auch nostalgisch gehalten.

Den Abschluss machen Texte über New York, Monterey und San Francisco. Während er in den Texten über New York und Monterey vor allem über die Unterschiede in der Mentalität zwischen einem Briten oder Europäer und einem US-Amerikaner nachdenkt, schildert er im letzten über San Francisco voller Staunen, aber auch Lob, die (wie wir heute sagen würden) multikulturelle Atmosphäre jener Stadt – dies, nachdem er in Across the Plains in einem Exkurs einmal den Rassismus der US-Amerikaner aufs Schärfste angegriffen hat. (Allerdings „nur“ den gegenüber Chinesen und Indigenen – Dunkelhäutige oder Mexikaner kommen erstere als dekorative Randfiguren, letztere als sinistre Gestalten in Monterey vor. Die Dunkelhäutigen werden also gar nicht weiter beachtet; Stevensons Schilderung der Mexikaner ist hingegen selber voller Stereotype, auch wenn ihm zu Gute gehalten werden kann, dass er wohl tatsächlich im alten Monterey vor allem welche kennen gelernt hat, die nicht unbedingt auf der Seite des Gesetzes standen.)

Alles in allem ist der zweite Teil bedeutend heiterer – was nicht heißt, dass der erste Teil nicht gelesen werden sollte. Im Gegenteil: Es war diese Reise, auf der Stevenson wirklich beobachten und erzählen gelernt hat.

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