Wilhelm Brauneder: Karl May. Dichter – Themen – Umfeld

Augenpartie aus einen Porträt Karl Mays. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Die nachfolgende Rezension habe ich auf Bitten der Redaktorin Jenny Florstedt für die Dezember-Ausgabe (4/22) der in Leipzig erscheinenden Zeitschrift Karl May & Co. geschrieben, wo er nun auf der vorletzten Seite zu finden ist. Was ich bei meiner Zusage nicht wusste, ist, dass Verlag wie Autor politisch ziemlich am rechten Rand des Spektrums angesiedelt sind. Die vorliegende Biografie Karl Mays zeigt zum Glück davon keine Spuren. Im Übrigen ist nur noch zu sagen, dass der einleitende Abschnitt und der Titel der Rezension mit meinem Einverständnis von der Redaktion stammen. Vielen Dank, Jenny, für die Einladung!


Brauneders Buch besteht, grob gesagt, aus zwei Teilen. In Teil I wird auf rund 40 Seiten Karl Mays Leben dargestellt; worauf eine kurze systematische Gliederung seiner Werke folgt. Vor allem letzteres ist in seiner nüchternen Art gut gelungen. Die eigentliche Biografie hingegen leidet darunter, dass Brauneder hier Vorarbeit leistet für die Argumentation, die er im zweiten Teil des Buchs vorbringen wird.

Dieser zweite Teil versucht, ebenso grob gesagt, die Wichtigkeit der so genannten „Old Shatterhand-Legende“ für May zu relativieren, bzw. seine Rolle bei deren Entstehung sowie Aus- und Weiterbildung für so gering wie möglich zu erklären. Brauneder verfährt im Stil eines Strafverteidigers, der im Schlussplädoyer noch einmal alle Zeugnisse betrachtet, die gegen seinen Mandanten sprechen – kleinere Verfehlungen ohne weiteres zugibt, bei den größeren aber darauf beharrt, dass man dieses oder jenes auch ganz anders interpretieren könne als im Sinne einer Schuld des Mandanten.

Ich für meinen Teil möchte der Diskussion dieser Thesen nicht vorgreifen, bzw. nur Folgendes dazu anführen: Um in seinem Plädoyer plausibler zu erscheinen, musste Brauneder in der eigentlichen Biografie bei ein paar von Mays Handlungen, die auf den ersten Blick nichts mit der „Old Shatterhand-Legende“ zu tun haben, den oben genannten juristisch-rhetorischen Trick anwenden, weil er wusste, dass man Mays Begierde nach einem Doktor-Titel oder Mays „Menschheitsfrage“ sehr wohl mit der „Old Shatterhand-Legende“ in Verbindung bringen kann. Die Geschichte um den Doktor-Titel wird zwar von Brauneder im biografischen Teil erwähnt; allerdings beginnt er diesen Abschnitt mit einer so scherzhaften Einführung, dass die Lesenden das Folgende allenfalls als lustige Anekdote begreifen. (Zugegeben: Mays diesbezügliche, immer absurder werdende Argumentation verlockt dazu.) Zeugnisse, in denen May auch sehr spät in seinem Leben noch ungefragt die „Old Shatterhand-Legende“ weiterspinnt, werden von Brauneder kaum berücksichtigt. Die Rolle Klaras bei der Bildung all der Legenden schon zu Karls Lebzeiten müsste vielleicht genauer dargestellt werden und die in der symbolischen Phase entstandene Umformung der „Old Shatterhand-Legende“ in die „Menschheitsfrage“ wäre wohl ebenfalls intensiver zu diskutieren.

Soweit zum Inhalt. Beim mehr Formalen ergeben sich leider auch ein paar Kritikpunkte: Zunächst fehlt dem Buch, um wirklich damit „arbeiten“ zu können, ein Register der Personen, Orte, Werke. Zum Teil sinnentstellende Satzkonstruktionen hindern den Lesefluss und lassen oft ratlos zurück. In seiner Einleitung beklagt der Autor, dass sich die Karl May-Philologie vielfach auf die Abwege der „Spiegelungen“ habe führen lassen, indem Figuren aus den Romanen im Sinne eines Schlüsselromans mit Menschen identifiziert werden, mit denen May in seinem Leben tatsächlich zu tun hatte. Ich bin da völlig seiner Meinung, sehe aber im Gegensatz zu ihm nicht ein, warum das im symbolischen Spätwerk dann in Ordnung sein soll. May hat selber für das Spätwerk solche „Spiegelungen“ vorgegeben, das stimmt. Nun ist aber nach der Veröffentlichung eines Werks dessen Autor auch nur ein Interpret unter vielen; auch könnte May frühere „Spiegelungen“ einfach verschweigen oder vergessen haben. Last but not least finden wir im Text zwei Mal einen Trapper namens „Sam Hawkins“. Beide Male wird der Name so geschrieben. Es kann sich also nicht um einen Fehler des Setzers handeln (bzw., wenn es einer ist, deutet das auf schlechtes oder inexistentes Korrektorat und Lektorat).

Summa summarum: Nicht-Fachleuten verbirgt dieses Werk die Abgründigkeit von Karl Mays Charakter, indem es ihn zum liebenswürdigen Schriftsteller von nebenan macht, der er so nicht war. Fachleute werden allenfalls die Ausführungen zur „Old Shatterhand-Legende“ diskutieren.


Wilhelm Brauneder: Karl May. Dichter – Themen – Umfeld. Wien: Karolinger Verlag, 2022.

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