Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac

Ausschnitt aus dem Bucheinband: Auf dunkelrotem Hintergrund ein bisschen rechts von der Mitte ein hellrotes Feld, darin in orange eine Gesichtsmaske mit riesiger Hakennase, wie sie früher die Schauspieler in der Commedia dell'Arte trugen.

Ich bin hier nur mit geringen Erwartungen an die Lektüre gegangen, muss ich zugeben. Rostand war für mich ein spätromantischer Vielschreiber der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zu Lebzeiten war er recht berühmt; zum Beispiel wird er in verschiedenen Abendgesellschaften, die Marcel Proust in seiner Suche nach der verlorenen Zeit schildert, immer mal wieder im Gespräch erwähnt. Von seinen Werken hat einzig Cyrano de Bergerac bis heute überlebt. Vom Stück selber wusste ich vor meiner Lektüre sehr wenig; ich kannte – dem Namen nach – die Verfilmung mit Gérard Depardieu in der Titelrolle und hatte von einer neueren mit dem kleinwüchsigen Schauspieler Peter Dinklage gehört. Die modernen Verfilmungen brachten aber, wie das Original selber auch, immer die Stichwworte „unglückliche Liebe zu seiner Cousine Roxanne“ mit sich – und Herz-Schmalz-Geschichten sind nicht so mein Ding. Dass ich das Buch trotzdem gekauft und gelesen habe, als es kürzlich (nach längerer Verzögerung) beim Verlag ars vivendi in einer neuen Übersetzung erschienen ist, war vor allem, weil es – zumindest auf Deutsch – keine brauchbare Literatur über Cyrano gibt, weder biografischer noch literarischer Natur. Cyrano aber wäre, auch jenseits dieser (im Übrigen fiktiven) Liebesgeschichte ein äußerst interessanter Mann und Autor. Also, dachte ich mir, nimmt man, was es gibt.

Ich wurde überrascht. Das Stück ist vielleicht nicht ganz, ganz großes Theater – aber es hat durchaus seine Meriten. Einige sogar.

Es ist zunächst einmal flüssig und süffig geschrieben. (Wie weit da die Übersetzung ‚schuld‘ ist, kann ich nicht sagen. Immerhin stammt sie von Frank Günther, der sich seit den 1970ern einen Namen als Übersetzer sämtlicher Dramen von Shakespeare gemacht hatte. Günther ist 2020 verstorben; Cyrano de Bergerac ist seine letzte vollendete Arbeit. Zumindest einen kleinen Scherz hat er sich – quasi auf eigene Rechnung – erlaubt (Jürgen Ritte weist im Nachwort meiner Ausgabe darauf hin): Cyrano fragt sich im Hinblick auf seine literarischen Werke … wann ist es nur so weit / dass ich mit Lob besprochen werde in der »Zeit«?) Andere literarische Scherze stammtn von Rostand selber, zum Beispiel jener Musketier, der auftritt, nachdem Cyrano einen unliebsamen Gegner im Degenkampf besiegt, zu dem er aus dem Stegreif eine Ballade dichtet, um bei der Pointe – zuzustechen. (Nebenbei: In der französischen Literatur ist eine Ballade etwas anderes als in der deutschen – es handelt sich um eine fixe Gedichtform wie zum Beispiel das Sonett eine ist.) Der Musketier, um auf ihn zurück zu kommen, drängt sich nach dem Kampf durch die Menge und gratuliert Cyrano für seine Fechtkunst: Monsieur, ich möchte gratulieren, wenn Sie erlauben! / Ich bin vom Fach, das war genial, Sie dürfen’s glauben!. Danach entfernt er sich (um auch nicht wieder aufzutreten) und Cyrano kann nur noch einen Nahestehenden fragen, wer das denn war. Die lakonische Antwort Heißt d’Artagnan, ein Musketier., geht schon fast in der Fortsetzung der Szene unter. Last but not least ist da jene Balkonszene mit Roxanne als Julia und Christian als De-jure-Romeo, der leider nicht gerade intelligent ist und vor allem auch sprachlich wenig zu bieten hat – seine einzigen Vorzüge liegen in seinem guten Aussehen. Roxanne aber wünscht sich einen klugen Geist in einem schönen Körper. Also hat sich Cyrano, der Roxanne ebenfalls liebt, bereit erklärt, Christians Sprachrohr zu werden, ihm einzuflüstern – als De-facto-Romeo, sozusagen. Diese Dreiecks-Beziehung (von der Roxanne erst ganz am Schluss erfährt) ersetzt die Shakespeare’sche Zweier-Konstellation – recht gewagt, wie ich finde. Metaliterarisch interessant ist auch der Beginn des Stücks, wo sich die Bühne öffnet auf – eine Bühne. Eine Schauspieltruppe ist gerade daran, eine Aufführung vorzubereiten – die im Folgenden dann von Cyrano gesprengt wird, weil er den Hauptdarsteller als eine Schande für die Kunst empfindet. Jürgen Ritte spricht hier im Nachwort von einer geradezu postmodernen Situation, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das Spiel mit der Bühne auf der Bühne schon in der Hochromantik in ähnlicher Form bekannt war – man denke zum Beispiel an den Gestiefelten Kater von Ludwig Tieck. Dennoch interessant.

Überraschend für mich war auch, wie sehr Rostand Wert auf historische Korrektheit legte. Nicht nur sind praktisch sämtliche Figuren in ihren Rollen auch historisch belegt. Auch Cyrano ist stimmig geschildert. Wenn wir einmal von der nicht belegten Liebesgeschichte und von den ebenfalls nicht belegten ‚Heldentaten‘ absehen, wie der Geschichte, dass er sich alleine gegen 100 Soldaten aufmachte, um sich ihnen im Degenkampf zu stellen (es wird später in der Kneipe erzählt, er hätte deren acht getötet, und der Rest sei geflüchtet – worauf Cyrano mit gut gespielter Bescheidenheit beiseite meint: „Ach, ich dachte, es wären nur sieben gewesen.“), so entspricht Rostands Cyrano in vielem dem, was wir vom echten wissen. Beide Cyranos waren stolz nicht nur auf ihren Ruhm als Soldaten, sondern auch auf die Qualität ihrer literarischen Werke. Um einen Soldaten abzulenken, referiert Rostands Cyrano aus dem Stegreif verschiedene Arten, zum Mond zu reisen – darunter ist auch jene, die der Ich-Erzähler in Cyranos Reise zum Mond tatsächlich verwendet hat. Der Soldat aber steht da mit offenem Mund und vergisst seine Aufgabe zumindest so lang, bis es zu spät ist, die Heirat von Roxanne und Christian zu verhindern. Später im Stück – Christian wurde kurz nach der Heirat in der Schlacht getötet und die Witwe nahm den Schleier und ging ins Kloster – erfahren wir aus Cyranos Mund, welches (neben Roxanne) seine ‚Hausgötter‘ sind: René Descartes, Sokrates, Galileo Galilei und Nikolaus Kopernikus werden namentlich genannt. Das naturwissenschaftliche Interesse Cyranos ist auch historisch belegt. Nur dort, wo der sterbende Cyrano erfährt, dass Molière eine Pointe aus einem seiner Stücke geklaut und in ein eigenes eingebaut hat, schummelt Rostand ein wenig: Der literarische Diebstahl hat zwar tatsächlich stattgefunden, nur war Cyrano zu dem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahren tot und hat es so nie erfahren.

Summa summarum: Besser, bedeutend besser, witziger und intelligenter als meine Vorurteile es mich befürchten ließen. Eigentlich sogar wirklich gut, und – zumindest in meiner Ausgabe / Übersetzung – eine Empfehlung. Vor mir aber liegt:

  • Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac. Deutsch von Frank Günther. Mit einem Nachwort von Jürgen Ritte. Cadolzburg: ars vivendi verlag, 2023.

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