Mark Twain: Die schreckliche deutsche Sprache

Blau auf grauem Hintergrund eine Zeichnung: Links ein Teufel mit Hörnern und Bockbart, in der Mitte ein Mensch an einem Schreibpult sitzend (das allerdings im vorliegenden Bildausschnitt abgeschnitten wurde). Er hat den Kopf in die Hände gestützt und die Haare stehen ihm zu Berge, während er in einem vor ihm liegenden Buch liest. Rechts vor ihm steht ein Tintenfass mit zwei Federn und noch weiter rechts eine alte Öllampe. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Vorliegendes Büchlein erhielt ich als Geschenk mit meiner Bestellung bei der Büchergilde. Es wurde gedruckt aus Anlass des 100. Geburtstags, den eben diese Büchergilde im Jahr 2024 feiert. Es handelt sich dabei um eine Art Auszug aus der allerersten Publikation des vom Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker gegründeten Buchclubs. Obwohl also eine gewerkschaftliche Initiative, beschränkte man sich gleich zu Beginn nicht auf ‚linke‘ (sozialistische, sozialdemokratische – was auch immer) Literatur. Das allererste Buch also war von Mark Twain, nannte sich Mit heiteren Augen und enthielt seinerseits verschiedene Geschichten (so der Untertitel) des US-amerikanischen Autors.

Aus jenem Büchlein wurde nun dieser Text hier genommen und in einer neuen Übersetzung durch Eric Aichinger neu aufgelegt. Da die vorliegende Geschichte auch außerhalb der Büchergilde nicht zum ersten Mal separat gedruckt wurde, will ich den Text hier kurz vorstellen. Er erschien ursprünglich als satirischer Anhang zu Mark Twains Reisebericht A Tramp Abroad (Bummel durch Europa), was unter anderem erklärt, warum Heidelberg darin genannt wird. Samuel Langhorne Clemens hielt sich auf seiner Reise 1878 unter anderem auch dort auf. Neben den Überlegungen zur deutschen Sprache finden wir von dort auch einen Bericht über eine studentische Mensur, die Clemens besuchte. So satirisch der Rest des Reiseberichts gehalten ist – hier verlässt den Autor jeder Humor und er berichtet entsetzt über das Blutbad, das hier in voller Absicht und im Einverständnis auch mit den Behörden angerichtet wird. Noch zwanzig Jahre später wird Jerome K. Jerome in seinem Buch Three Men on the Bummel, das ansonsten auch satirisch gehalten ist und ganz klar in der Tradition von Mark Twain steht, bei diesem Thema ähnlich entsetzt reagieren, und ich vermute, dass das Bild des rohen und gefühllosen Deutschen, das die angelsächsische Welt bis weit nach dem Ersten Weltkrieg hegte und pflegte, solchen Sitten und deren Beschreibungen durch Fremde sehr viel ‚verdankt‘.

Aber das ist hier nicht das Thema, sondern die schrecklich komplizierte deutsche Sprache. Clemens nämlich gab sich durchaus Mühe, Deutsch zu lernen. Aber schon bald stieß er dabei auf riesige Hindernisse.

Die wichtigsten davon sind:

  • Das Genus (Geschlecht) der Substantive. Jedes Substantiv im Deutschen ist entweder maskulin, feminin oder neutrum – aber es gibt wenig brauchbare Regeln, nach welchen das Geschlecht verteilt wird. Englischsprachigen wird das speziell kompliziert vorkommen, weil das Englische das Genus der Substantive schon lange abgestreift hat (mit Ausnahme weniger Wörter in poetischer Sprache, wo auf „the moon“ mit „she“ referenziert werden kann, auf „the sun“ mit „he“; und dann treffen die armen Englischsprachigen auf das Phänomen, dass im Deutschen bei diesen beiden Himmelskörpern das Geschlecht genau umgekehrt zugeteilt worden ist – ein Beispiel, das sich Mark Twain, nebenbei bemerkt, entgehen ließ).
  • Wenn man dann noch die vier Kasus (Fälle) hinzunimmt und den Umstand, dass im Deutschen verschiedene Typen von Pronomina und Artikeln in verschiedenen Fällen genau gleich lauten, kann man sich die Verwirrung des englischsprachigen Clemens vielleicht vorstellen, denn das Englische unterscheidet bekanntlich die Kasus ebenfalls nicht mehr, die Pronomina aber umso genauer. (Nebenbei bemerkt, haben geschätzte 50% der Deutschsprachigen Mühe, orthographisch das Relativpronomen „das“ von der Konjunktion „dass“ zu unterschieden – wollen wir Clemens also tadeln?)
  • In willkürlicher Länge zusammensetzbare Substantive erleichtern den Sprachlernenden die Sache auch nicht unbedingt – vor allem weil man bei jedem solchen Substantiv bis zum Schluss warten muss, um zu wissen, wovon genau gesprochen oder geschrieben wird. Schriftlich mag das angehen – aber mündlich?
  • Zu dessen Verständnis warten bis zum Schluss müssen wir auch im deutschen Nebensatz, wo das Verb traditionell eben dort zu finden ist. Und dann, zur zusätzlichen Verwirrung der Lernenden, oft nicht nur eines sondern gleich mehrere …

Kein Wunder, erhielt Clemens / Mark Twain den Eindruck, der Erfinder der deutschen Sprache habe sich absichtlich Mühe gegeben, sie so kompliziert wie nur möglich aufzubauen. (Clemens war, nebenbei, weder Linguist noch Grammatiker; wenn ich oben Termini aus diesen Fachgebieten verwende, sind das meine Begriffe, nicht die des Textes.)

Es hat etwas sehr Spezielles an sich, diesen Text in einer deutschen Übersetzung zu lesen, denn einiges der Twain’schen Satire entsteht daraus, dass der Autor deutsche Schachtelsätze und Komposita wörtlich in seine Muttersprache überträgt. Eric Aichinger ist der Spagat aber nicht übel gelungen.

Mit Mark Twains Satiren – anders als mit seiner Pseudo-Autobiografie – kann man eigentlich nichts falsch machen. Und ein bisschen mehr Rücksicht gegenüber Fremdsprachigen und gegenüber der deutschen Sprache kann ja auch nicht schaden. Und hier meine ich auch mich selber …

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 3

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