Noch vor gar nicht so langer Zeit wäre man von der zünftigen Altphilologie ausgelacht worden, hätte man gewagt zu sagen, Pausanias sei der Baedeker der Antike gewesen. Man hielt ihn für einen der minderen Schriftsteller der Antike, einen Aus- und Abschreiber. Bestenfalls sah man in ihm einen an Geografie Interessierten, einen Geographen. Erst im 20. Jahrhundert begann man seine Reisebeschreibungen zu schätzen, als man herausfand, dass er das meiste, was er beschreibt, auch gesehen hat. Damit es nicht ganz so despektierlich klingt, nennt man diese Art antiker Autoren „Perieget“. Das Wort kommt (natürlich!) aus dem Altgriechischen „περιηγητής“ = „Herumführer“.
Über die Person des Pausanias wissen wir wenig. Wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jahrhunderts u.Z. in Kleinasien, in der Nähe des heutigen Izmir, geboren, hat er während der Regierungszeiten der römischen Kaiser Antoninus Pius und Marc Aurel gelebt. Das lässt sich daraus schließen, dass er viele Bauwerke beschreibt, die zur Zeit Hadrians fertig gestellt wurden. Sein einziges bekanntes Werk (weil sein einziges erhaltenes – dafür aber in sehr gutem Zustand) ist das vorliegende Ἑλλάδος Περιήγησις (Helládos Periḗgēsis, „Beschreibung Griechenlands“) in 10 Büchern. Diese 10 Bücher sind offenbar auch in der heute überlieferten Reihenfolge verfasst worden – das beweisen vor allem Rückverweise von späteren Büchern auf die früheren.
Im Übrigen geht Pausanias immer auf die gleiche Art und Weise vor. Er führt uns zunächst die Gegend vor die Augen, die er nun besucht. Oft bedeutet das, dass er ganz konkret angibt, welchen Weg wir wo zu nehmen haben. Bei den Denkmälern, die er beschreibt, handelt es sich meist um Tempel oder zumindest (Götter-)Statuen. Doch auch Wandbilder werden beschrieben. Diese Wegbeschreibungen sind wichtig und im wahrsten Sinne des Wortes wegweisend für die heutige Klassische Archäologie, denn sie haben sich als sehr präzise erwiesen. Interessant ist er auch dadurch, dass viele der von ihm beschriebenen Statuen im Gebrauch der damaligen Zeit aus Holz hergestellt waren. Diese sind längst verwittert und verfault; Pausanias’ Beschreibungen sind alles, was uns geblieben ist. Andere Denkmäler, die aus Stein gemeißelt waren, sind im Lauf der Jahrhunderte verwittert, oder auch gestohlen bzw. mutwillig (z.B. durch kriegerische Eroberer) zerstört worden.
Einen weiteren wichtigen Punkt in Pausanias’ Text stellen seine Referate lokaler Mythen dar, die uns einen Einblick gewähren in eine Mythologie jenseits der normierten Zusammenfassung eines Gustav Schwab. Das hat Pausanias, nebenbei, für J. G. Frazer so interessant gemacht, dass der Schotte 1897/98 eine Übersetzung mit Kommentar in sechs Bänden verfasst hat – ein Werk, auf das auch heute noch Bezug genommen wird. Pausanias verfährt bei seinen Referaten völlig unkritisch, was ihn für uns heute ja gerade interessant macht. Er berichtet, was er vorfindet – ob es nun Denkmäler sind oder Erzählungen. Gerade diese seine Technik der Autopsie (was damals „Beobachtungen vor Ort und Stelle, am Objekt selber“ meinte) macht ihn wertvoll.
Wo nötig betätigt sich Pausanias auch als Geschichtsschreiber, dann nämlich, wenn die lokale Geschichte für den Zustand der vorgefundenen Objekte wichtig ist und nirgendwo sonst verzeichnet.
Dass Pausanias kritiklos referiert, bedeutet im Übrigen nicht, dass er für seinen Bericht keine Richtlinien kennen würde. Für die Mythologie orientiert er sich an Homer, für die Geschichte an Herodot.
In dem Durcheinander, das ich meine Bibliothek nenne, steht die bis heute einzige vollständige Übertragung ins Deutsche:
Reisen in Griechenland. Gesamtausgabe (= Die Bibliothek der Alten Welt. Griechische Reihe). 3 Bände. Auf Grund der kommentierten Übersetzung von Ernst Meyer hrsg. von Felix Eckstein. 3., nunmehr vollständige Ausgabe. Artemis & Winkler, Zürich/München 1986–1989. [Meine Ausgabe ist dem Patmos-Verlag zugeordnet, mit © 2001. Auf dem unteren Buchschnitt findet sich ein großes M in einem Kreis – ein Mängelexemplar offenbar. (Was darauf hinweist, dass ich es noch vor 2007 in einer Grabbelkiste gefunden haben muss, dem Jahr nämlich, als hierzulande die Buchpreisbindung fiel.)]
Für dieses Mal habe ich mich mit dem ersten Band begnügt, der als BAND I: ATHEN die Bücher I-IV des Originals enthält, mit folgenden Landschaften: Attika, Argolis, Lakonien und Messenien.
(Der Bericht über Athen und die umliegenden Landschaft in Buch I unterscheidet sich, nebenbei gesagt, ziemlich vom Rest. Offenbar als erster verfasst, scheint Pausanias hier noch nach seinem Stil zu suchen. In Athen springt er hin und her, statt der Reihe nach zu schildern, was dem Wanderer in die Augen fällt. Das macht die Lektüre von Buch I einigermaßen mühsam. Selbst, wo er geordnet vorgeht, ist Pausanias eher etwas für Hardcore-Fans von Reiseberichten bzw. von antiker Literatur.)