Georg Groddeck: Der Mensch als Symbol

Die oberen drei Viertel des Bildes werden von einem hellgrauen, im Original fast weißen Balken eingenommen, darunter ein in etwas dunklerem Grau gehaltener Abschnitt. Durchh beide Balken hindurch zieht sich ein blau gezeichnetes Kreissegment. Außerdem erkannt man links einige Stockflecken. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Die Tatsache, daß der Mensch männlich-weiblich und kindlich-mannbar ist und daß er im Symbol lebt, können wir benutzen wie ein farbiges Glas, um das Menschenleben zu betrachten.

Georg Groddeck

Die wesentliche Eigenschaft der symbolistischen Kunst besteht darin, eine Idee niemals begrifflich zu fixieren oder direkt auszusprechen.

Jean Moréas, 1886

Natürlich hat der Psychoanalytiker und Freud-Schüler Groddeck sich nie als Symbolisten betrachtet und nie als Künstler, aber was er in diesem Buch macht, gleicht verblüffend der Vorgehensweise der Symbolisten: Ausgehend von der Etymologie eines Wortes (meist eines der deutschen Sprache, aber er blickt auch in andere – indogermanische – Sprachen), entwirft er eine Art symbolischer Weltanschauung, die sowohl bereits urzeitlichen Völkern eigen war wie auch noch dem modernen Menschen zugehört. Die verwendeten bzw. gefundenen Etymologien führen ihn dann meistens auf Geschlechtliches oder Aspekte der Verdauung – sie gehen so oder so in die Hose.

Dass er nebenbei die schon bei Otto Weininger nicht so richtig funktionierende These weiterträgt, jedes Individuum (der Mensch) bestehe aus sich zu 100% ergänzendem männlichen und weiblichen Teil, das noch durch kindlich und erwachsen ergänzt, macht Groddecks Theorie nicht vertrauenerweckender.

Ich will die Psychoanalyse nicht schlechter machen als sie ist. Sie hatte vor ein bisschen mehr als hundert Jahren großen Anteil daran, dass die sexuellen Nöte und Zwänge der viktorianischen bzw. wilhelminisch-josephinischen Gesellschaft aufgebrochen wurden. Freuds Entdeckung war es zum Beispiel, dass die weibliche Hysterie (auch) davon herrührt, dass den Frauen jeder Spaß am Sex, ja jeder sexuelle Wunsch überhaupt, abgesprochen wurde. Damit, dass den Frauen nun peu à peu auch Spaß im Bett zugestanden wurde, verschwand das Krankheitsbild nach und nach. Ähnliches gilt für Groddecks Aufdecken der psychosomatischen Zusammenhänge, der Tatsache also, dass die psychische Verfassung eines Menschen seine körperliche beeinflusst – bis hin zu einer ernsthaften physischen Erkrankung. Dafür, dass man es damit eine Zeitlang übertrieb und (fast) alles auf Psychosomatik zurückführen wollte, kann er ja nichts. (Und ich sage das als einer, der selber an einer chronischen Krankheit leidet, die lange als ‚psychosomatisch‘ nachgerade stigmatisiert wurde.)

Aber die Psychoanalyse leidet von Beginn weg an einem großen Defizit. Vieles, was zu Beginn wohl nur Arbeitshypothese war (und hätte bleiben müssen!), wurde ‚verdinglicht‘ und zu einer real existierenden Entität erhoben. Damit einher ging eine Kodifizierung der Psychoanalyse. Und wenn ich gerade eben marxistische Begriffe verwendet habe, geschah das nicht ohne Absicht. Denn wie aus Marx’ Schriften eine Unzahl von Schulen und Richtungen entstand (die sich zum Teil blutig bekämpften) oder wie aus der biblischen Lehre Jesu eine Unzahl von Schulen und Richtungen entstand (die sich zum Teil blutig bekämpften), so entstanden auch unzählige psychoanalytische Schulen, die sich zwar nicht blutig aber dennoch heftigst bekämpften. Als (Natur-)Wissenschaft müssen wir uns die Psychoanalyse verbitten, als gesellschaftstheoretisches Konstrukt kann und sollte sie – wie der Marxismus, wie das Christentum – jederzeit einer kritischen Untersuchung unterworfen bleiben.

Allerdings kann ich bei Groddecks Der Mensch als Symbol offen gesagt wenig kritisch untersuchen. Zu seltsam kommt seine Theorie daher. Zu wenig Zusammenhang besteht nur schon zwischen einzelnen Abschnitten, ja Sätzen – geschweige denn im Ganzen. Man muss wohl sehr von Freuds Psychoanalyse imprägniert sein, um das Buch wirklich lesen zu können. Außer in etymologischen Spielereien versucht sich Groddeck zum Beispiel auch noch in kunsttheoretischen Aussagen, bzw. psychoanalytischen Interpretationen von Gemälden. Da zeigt er eine Vorliebe für Gemälde, in denen eine Trias in bestimmter Form dargestellt ist. Zwei kleine Menschen oder Gegenstände links und rechts, ein größerer Mensch oder Gegenstand in der Mitte. Das ist dann für ihn eine Symbolisierung eines Penis mit zwei Hoden … Dass diese Analyse das nicht gleich auf Tryptichen anwendet, verwundert mich dann doch.

Auf Groddeck aufmerksam gemacht worden bin ich durch einen Nebensatz in Wolfgang Martynkewicz’ Geschichte der Frankfurter Schule. Dann habe ich heraus gefunden, dass jemand – ich vermute, dass es ebenfalls Martynkewicz war – Groddecks Symbol-Theorie mit Arno Schmidts Ethym-Theorie in Verbindung gebracht hat. Nun erwähnt Schmidt Groddeck ein einziges Mal, in ZETTEL’S TRAUM (besten Dank für diese Mitteilung an Giesbert Damaschke!), schreibt den Namen dabei erst noch falsch, nämlich nur mit einem ‚d‘ und lässt kein gutes Haar an ihm. Das könnte zwar von Arno Schmidt im Sinne einer Spurenverwischung absichtlich so gehalten sein, aber ich denke, es gibt doch fundamentale Unterschiede zwischen Groddecks Symbol-Theorie und der Ethym-Theorie Arno Schmidts: Wo Groddeck sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse außerhalb der Psychoanalyse legitimiert, ist Arno Schmidts Ethym-Theorie hauptsächlich durch die freie Assoziation eines einzelnen – nämlich des Autors Schmidt – legitimiert. (Wobei freies Assoziieren wiederum ein von der Psychoanalyse gern und häufig verwendetes Instrument der Anamnese ist.)

Auf die Frage: Muss man Groddeck gelesen haben – und sei es nur aus Interesse an Arno Schmidt?, lautet meine Antwort ganz einfach: Ich denke nicht.


Ich hatte mir folgende Ausgabe antiquarisch beschafft:

Georg Groddeck: Der Mensch als Symbol. Unmaßgebliche Meinungen über Sprache und Kunst. Mit 14 Bildtafeln im Anhang. Erstmalig erschienen 1933 im Internationalen Psychoanalytischen Verlag, Wien. München: Kindler, 1976. (= Kindler Taschenbücher 2174)

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