Gustav Schwab: Doktor Faustus

Links, rechts und oben verschieden dicke blaue Streifen, die den Rand des Buchdeckels markieren. Darunter in den beiden oberen Ecken zwei kleine blaue Kreuze (x). Der Rest ist hellgrau-beige und zeigt deutlich die Struktur des Leineneinbands. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Nach dem Herzog Ernst nun eine zweite Zusammenfassung bzw. Nacherzählung eines Volksbuchs von Gustav Schwab. Ich habe sie in derselben Anthologie gefunden wie die erste. Das heißt auch, dass die eigentliche Quellenlage dieser Ausgabe für den Doktor Faustus ebenso verschleiert ist. Auf welche Quelle die in dieser mehr als seltsamen Anthologie genannten Meyers Klassiker⸗Ausgaben genau zurückgegriffen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin habe ich unterdessen so viel herausgefunden, dass Gustav Schwab tatsächlich 1836/37 zwei Bände mit dem Titel Buch der schönsten Geschichten und Sagen für Alt und Jung wieder erzählt veröffentlichte, also noch vor den Schönsten Sagen des klassischen Alterthums, die seinen Ruhm bis heute ausmachen. Die beiden Bücher von 1836 und 1837 scheinen sich auf deutsche Sagen zu beschränken, und meist scheint Schwab dabei auf so genannte ‚Volksbücher‘ zurück gegriffen zu haben. Genaueres ist nicht zu finden. Schwab nennt in den Vorworten zu den beiden Büchern zwar ansatzweise die Quellen von einigen der Nacherzählungen, aber nicht von allen. Sowohl der Herzog Ernst wie der Doktor Faustus bleiben ohne Nachweis.

Es gibt aber gravierende Unterschiede in der Qualität der beiden Quellen. Während die Nacherzählung des Herzog Ernst noch relativ nahe am mittelalterlichen Epos liegt (man hat des Herzogs Taten zwar der mittelalterlich-ritterlichen Begründung beraubt, auch jede Menge seltsamer Menschenstämme und viel Magie eingefügt, aber die Fahrt nach Rom wie die nach Jerusalem existieren immer noch), ist Schwabs Doktor Faustus ein völlig anderer als zumindest der des ursprünglichen Volksbuchs, der Historia von D. Johann Fausten.

Der Faust jener Historia war ein Renaissance-Mensch auf der Höhe seiner Kraft. Jener Faust war eine Figur voller Wissens- und Tatendrang, und die ersten beiden Teile der Historia zeigen ihn, wie er Mephistophiles zunächst mit theologischen, dann mit geografischen Fragen löchert (die dieser ihm, im Rahmen des Möglichen, auch zu beantworten sucht). Erst der dritte Teil des ursprünglichen Volksbuchs zeigt Faust, den Magier und Bösewicht.

Schwabs Text kennt nur den Magier. So bleibt es recht rätselhaft, weshalb der Teufel nun ausgerechnet diese Schlaftablette zum Opfer auswählt, und es bleibt ebenso rätselhaft, warum Faust die Wette annimmt. Schwabs Mephisto ist der kleine Angestellte, der sich darüber beklagt, dass ihm sein Chef einmal mehr einen Sch…-Job angehängt hat – und dies gleich beim Auftraggeber. Mephisto ist an seinem Job so wenig interessiert, dass er irgendwann sagt, Faust solle aufhören, dieses oder jenes von ihm zu verlangen, er sei ja selber ein ganz ordentlicher Magier und könne sich Geld und gutes Essen selber herbei zaubern. Und mehr, anderes, wünscht sich dieser Faust hier gar nicht. Schwabs Faust ist nicht einmal wirklich ein Bösewicht; er ist eher der biedermeierliche Gemütsmensch, der seine Ruhe haben will, genug Geld, gutes Essen und guten Wein für sich und seine Freunde. Er stellt nichts eigentlich Böses an. Selbst Helena wirkt in ihrem Kurzauftritt wie die gute Hausfrau und Mutter des Biedermeiers, die keinerlei Ansprüche an den Hausherrn stellt. Dafür profitiert Schwab von der Gelegenheit, ein paar antisemitische Sätze einzufügen. (Zur Zeit der Veröffentlichung meiner Anthologie natürlich gern gesehen; aber ich frage mich gerade, ob es Untersuchungen gibt zum Antisemitismus der so genannten Schwäbischen Dichterschule. Auch Wilhelm Hauff hat sich diesbezüglich so einiges geleistet.)

Warum Faust dann am Schluss der 24 Jahre plötzlich Angst kriegt, ist von seinem Persönlichkeitsprofil her nicht nachvollziehbar. Noch weniger nachvollziehbar ist allerdings, warum der oder die Teufel plötzlich so brutal werden. Ausführlichst schildert uns Schwab, wie man dem guten Doktor den Schädel eingeschlagen hat und nun sein Hirn überall hin gespritzt hat – im Studierzimmer ebenso wie draußen im Garten.

Es gibt heute noch einen Nachdruck des Buchs der schönsten Geschichten und Sagen ebenso wie einen nur des Doktor Faustus. Ich denke aber, dass man diese nicht gelesen zu haben braucht – außer natürlich, man beabsichtige, sich als Literaturwissenschaftler:in auf die Schwäbische Dichterschule zu spezialisieren.

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