Nein, das hier ist kein Nachruf. Zwar, Walter Kappacher ist wirklich vor ein paar Wochen erst, am 24. Mai 2024, verstorben. Aber für einen Nachruf ist in meinen Augen unabdingbar, dass ich noch zu seinen Lebzeiten mit ihm in irgendeiner Beziehung gestanden hätte – und sei es nur passiv, als Lesender, Schauender oder Hörender. Das ist aber nicht der Fall. Tatsächlich gelang es Kappacher und seinen Werken irgendwie nicht, meine Aufmerksamkeitsschwelle ganz zu überschreiten. Mit anderen Worten: Ich hatte den Namen schon gehört, mich aber nie um seine Werke gekümmert – und das trotz der sehr positiven Besprechung seines Romans Morgen in diesem Blog durch Kollege scheichsbeutel vor etwas mehr als fünf Jahren. Erst als derselbe scheichsbeutel kurz nach Kappachers Tod in den Social Media den Tod eines viel zu wenig bekannten und geschätzten Autors bedauerte, wurde ich endlich hellhörig.
Als nächstes aber stand ich dann vor der Tatsache, dass hierzulande kaum Werke von Kappacher im Buchhandel erhältlich sind. Ich entschied mich dann für das vorliegende Buch, eine Sammlung von Kurzgeschichten des Österreichers. Das war riskant, denn was ich an (vielen!) positiven Stimmen zu Kappacher gelesen hatte, war immer für den Verfasser von Romanen gewesen – aber nicht alle, die gute Romane schreiben, können auch gute Kurzgeschichten schreiben. (Das gilt auch umgekehrt.) Andererseits könnte ich bei Kurzgeschichten einfach weiterblättern, wenn mir eine nicht gefiele, und mit der nächsten vielleicht mehr Glück haben.
Nehmen wir es vorweg: Das musste ich dann nicht. Im Gegenteil: Kappachers hier versammelte Kurzgeschichten sind allesamt von hoher Qualität, einerseits was die Story als solche betrifft, vor allem aber sprachlich. Kappacher weiß unaufgeregt zu erzählen, in einem eleganten aber nie aufdringlichen Sprachduktus. Die Sammlung enthält 15 Erzählungen aus den Jahren 1972 bis 1997.
Die der ganzen Sammlung der Titel gebende Geschichte Wer zuerst lacht ist dabei nicht nur die längste und jüngste – sie ist auch eine der besten. Halb ironisch, halb melancholisch erzählt hier ein Mann, der in seiner Provinzstadt (Innsbruck? – jedenfalls spielt Mozart eine Rolle) eine Art Literaturstar ist. Aber selbst in Innsbruchk ist er nicht einer von erstem Rang, bei weitem nicht. Den ersten Rang nimmt sein Freund ein, der jedoch irgendwann unter dem Leistungsdruck zusammenbricht, was sich in unkontrollierbaren Lachkrämpfen äußert. Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Eifersucht unter Kollegen, eine Geschichte auch über jene Autor:innen, die den Durchbruch nie ganz schaffen, immer aber glauben und hoffen, kurz davor zu sein. In der Zwischenzeit verdienen sie ihr Geld als Werbetexter oder, wie der Ich-Erzähler, als Busfahrer für das als Familienbetrieb geführte kleine, halb vergammelte Hotel, der jeden Tag versucht, Touristen in seinen Bus und zu seinem Hotel zu verfrachten. Und so stehen wir als Lesende zuletzt vor der Frage, wer es denn nun besser hat: der Freund des Ich-Erzählers, der unterdessen in einer psychiatrischen Klinik sitzt, oder doch der Ich-Erzähler, der sogar die Freundin seines Freundes ‚übernommen‘ hat. Und manchmal darf er sogar neben ihr liegen.
Immer sind es Geschichten von Außenseitern, die uns Kappacher erzählt: Todesfahrer auf dem Jahrmarkt, einem Mann, der nur noch in öffentlichen Bädern lebt oder, in einer Art Science Fiction-Geschichte, einem Autor, der in dem Büro, wo er kontrolliert Texte schreiben darf, verhaftet wird, weil er ohne Geheiß geschrieben hat. Manche, die meisten, sind nach bürgerlichen Begriffen gescheiterte Existenzen, sind aber noch im Scheitern glücklicher als der Rest der Menschheit. Da ist natürlich ein wenig Kafka drin, aber unaufdringlich und schon fast selbstironisch, dass man heute noch so schreiben kann oder muss wie Kafka. (Und Automobile sind drin. Viele Automobile. In fast jeder Geschichte spielen Automobile und / oder Motoren eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Ob das an der Auswahl liegt oder tatsächlich ein Spleen Kappachers war, kann ich mangels Kenntnis weiterer Texte nicht beurteilen.)
Zusammengefasst: Mit Walter Kappacher ging wirklich ein großer Erzähler von uns, und es ist schade, hat man zu Lebzeiten hierzulande nicht mehr von ihm gehört hat (und ich nicht mehr und früher Texte von ihm gelesen habe).
Walter Kappacher: Wer zuerst lacht. Erzählungen. Wien: Deuticke, 1997
Die Automobile sind kein Zufall: Kappacher war gelernter Automechaniker mit starker Affinität zum Motorrennsport. Siehe auch etwa seine autobiographischen Romane „Die Werkstatt“ oder „Ein Amateur“.
Schau an. Danke für die Info! Ich kenne Kappachers Biografie gar nicht; da habe ich blindes Huhn also ein Korn gefunden.