Jules Verne: Autour de la lune [Reise um den Mond]

Auf dunkelbraunem Hintergrund (gedruckt, aber einen Ledereinband imitierend) in einem Oval mit goldenem Rahmen das Bild des Vollmonds vor einem besternten Weltall. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Selbstverständlich lässt Jules Verne die drei Helden seines Romans De la terre à la lune nicht auf einer Umlaufbahn um den Mond hängen und vertrocknen wie Datteln. Warum er allerdings rund fünf Jahre brauchte, um die Rettungsmission in Gang zu setzen, weiß ich nicht. (Fünf Jahre in der Zeitrechnung von Jules Verne – De la terre à la lune erschien 1865, diese Fortsetzung hier 1870. Für die Insassen des Projektils, das da zum Mond geschossen wurde, vergeht natürlich weniger Zeit; sie hätten gar keinen Sauerstoff für fünf Jahre dabei gehabt.)

Diese fünf Jahre aber scheinen dem Schriftsteller gut getan zu haben. In Autour de la lune schreibt er plötzlich, zumindest passagenweise, recht lebendige Dialoge, und wenn die Figuren immer noch Karikaturen sind, so sind sie doch ein bisschen besser und wärmer gezeichnet. Dass daneben immer noch jede Menge belehrender Passagen für die reifere Jugend eingefügt sind, lässt sich so schon fast verschmerzen.

Allerdings verwendet Verne für die Rettung der drei Raumfahrer einen inhaltlichen Holzhammer. Er streitet einfach ab, was er noch im ersten Teil behauptet hatte. Die Beobachtung des Teleskops in den Rocky Mountains, die am Schluss von De la terre à la lune das Schicksal der drei Helden besiegelt hatte, weil sie für immer in einer Umlaufbahn um den Mond gefangen sein würden, wird gleich zu Beginn von Autour de la lune als – Falschbeobachtung abgetan. (Wozu dann das ganze Gedöns um das weltbeste Teleskop überhaupt gut sein sollte, lässt Verne unbeantwortet.) Das Projektil der drei Männer ist also nicht auf einer Umlaufbahn um den Mond, sondern reist um den Mond herum. Ob in einer Parabel oder Hyperbel, führt an Bord der Kugel zu einer hitzigen Diskussion. Barbicane, ehemaliger Artillerist und ebenso ehemaliger Holz-Großhändler entpuppt sich als der Mathematiker der Crew und versucht, den Unterschied dem tumben Toren Ardan zu erklären. (Ardan ist seinerseits natürlich der typische Stellvertreter des unwissenden Jünglings, der das Buch liest und belehrt werden soll, ohne dass sich der Autor gleich aus der Fiktion entfernt und ein Kolleg startet.) Nicht, dass es für die weitere Geschichte eine Rolle spielen würde. Später wird Barbicane sogar versuchen, die Bahn um den Mond zu berechnen. Jules Verne soll den mathematischen Teil Fachleuten gezeigt haben; ob diese die hier verwendete Mathematik nur flüchtig angeschaut haben oder aus Vernes Versuchen, Mathematik in Worten zu erklären so wenig schlau geworden sind wie ich und – in dubio pro reo – annahmen, er meine schon das Richtige: ich weiß auch das nicht. Jedenfalls ist dieser Teil praktisch unverständlich. Dass, nebenbei, Barbicane dann in der engen Kabine noch schnell die Gleichungen der Universität Cambridge nachrechnet und darin einen Fehler findet, trägt zwar zur Rettung der drei bei, lässt aber schon gewisse Fragen hinsichtlich der Komposition der beiden Romane offen. Auch die Meteoriten(?), die die Bahn des Projektils umlenkten, aber offenbar bisher der Aufmerksamkeit der gerade noch so gelobten Teleskope entgangen sind, stellen solche Dei ex machina dar, die einen nur noch den Kopf schütteln lassen.

Nun, die drei kommen glücklich zurück zur Erde, wo sie sogar – wie später die US-amerikanischen Raumkapseln – im Meer wassern. Dass sie ohne Hitzeschild reisten und dennoch nicht beim Wiedereintritt in die Atmosphäre gegrillt, gekocht und zu einem Feuerball wurden, gehört (um Verne zu entschuldigen) wohl eher in die Kategorie „Konnte man damals noch nicht wissen“, auch der Umstand, dass ihr Projektil ohne Fallschirm auf dem Wasser aufschlug und dabei nicht zerschellte, gehört wohl in diese Kategorie. Wenn allerdings Barbicane dem Franzosen zu erklären versucht, was der Äther sei, ist er bzw. ist Verne hier strikt in den Gefilden der damaligen Physik.

Fazit: Das Buch weist viele lebendige (wenn auch nicht immer sachlich korrekte Informationen vermittelnde) Dialoge auf und ist somit dem ersten Teil der Geschichte bei weitem vorzuziehen.

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