Bei Mansfield Park handelt es sich um Jane Austens wohl problematischsten, auf jeden Fall aber seltsamsten Roman. Dieser ihr dritter Roman erschien 1814, wie die beiden Vorgänger anonym, aber mit Hinweis darauf, dass er by the author of „Sense and Sensibility“ and „Pride and Prejudice“ sei. Das Publikum mochte den Roman offenbar, schon 1816, also noch zu Austens Lebzeiten, erschien eine zweite Auflage. Die erste öffentliche Rezension aber erschien erst 1821 – vielleicht ein Zeichen dafür, dass sich die Kritik schon damals der Probleme in diesem Roman bewusst war.
Zunächst einmal ist da der Umstand, dass die Heroine, Fanny Price, zu Beginn des Romans gerade mal 10 Jahre alt ist. Weil ihre Familie zwar reich an Kindern, aber arm an Geld ist, wird sie in diesem Alter zur ältesten Schwester der Mutter gegeben. Die wiederum hat reich geheiratet und kann sich auch ein viertes Rad am Wagen … äh … Kind leisten. So jung war sonst keine Heldin Austens, und sie wird dementsprechend ihr ganzes Buchleben lang ungeheuer passiv bleiben.
Das ist sogar verständlich: Mit 10 Jahren aus der Familie herausgerissen zu werden, wo man doch geliebt wurde, und sich an einem Ort wiederzufinden, an dem die Leute einem gleichgültig oder gar feindselig gegenüber stehen, ist nicht einfach. Austen hat hier psychologisch klug und feinfühlig den Rückzug geschildert, den eine sensible Persönlichkeit in einem solchen Fall vollziehen wird – einen Rückzug auf und in sich selber. Im Grunde genommen verwendet Austen hier eine Variation des Aschenputtel-Motivs (inklusive der Tatsache, dass Fanny am Ende zwar nicht reich, aber glücklich, verliebt und einigermaßen wohlhabend heiraten wird).
Aber mit dieser Figur wird ein Ton angeschlagen, der bisher in Austens Romanen nicht vorkam. Mansfield Park ist nicht düster oder melancholisch, aber das Spritzig-Ironische ihrer anderen Romane fehlt – ganz einfach, weil Fanny eine viel zu ernsthafte und zu sehr in sich gekehrte Person ist. Dazu passt, dass nachdem gleich zu Beginn des Romans noch eine kurze, vor Satire strotzende Schilderung stand der Heirats-Schicksale der drei Schwestern, von denen eine Fannys Mutter ist, nichts derartiges mehr vorkommen wird.
Überhaupt hat man den Eindruck, dass Austen für einmal einen „seriösen“ Roman schreiben wollte. Die Familie von Sir Thomas Bertram, dem Gatten ihrer Tante, ist zwar die bei Austen übliche Mischung von (allzu) seriösen Menschen, leichtlebigen bis leichtfertigen, bösartigen und schlicht dummen. Aber immer wieder scheint Austen zu versuchen, ernsthafte gesellschaftliche Themen anzugehen. Da wird eine Zeitlang über den Garten der Bertrams diskutiert, der von einem der namhaftesten Landschaftsarchitekten (wie wir heute sagen würde) der Zeit gestaltet wird. Dieser Garten soll nicht nur der Erholung sondern mindestens so sehr der Repräsentation dienen. Dann kommt der Moment, wo Sir Thomas dringend auf einige Zeit zu seinen Zucker-Plantagen auf Antigua reisen muss. Das wird von Austen nicht nur dazu benutzt, die übrigen weniger ernsthaften Familienmitglieder außer Rand und Band geraten zu lassen (man plant sogar eine Theateraufführung, die – horribile dictu – öffentlich sein soll, etwas, das sich mit dem Dekorum junger Damen der Zeit überhaupt nicht in Übereinstimmung bringen ließ), um so den Knoten zu schürzen, der dann die Katastrophe über die Familie herein brechen lässt. Fanny – es sind seit dem Beginn des Romans ein paar Jahre vergangen und sie ist nun ein Teenager – nutzt die Gelegenheit seiner Rückkehr, um ihn nach seinen Sklaven zu fragen. Die Frage war heikel – und äußerst aktuell. 1808 erst (also nur sechs Jahre vor Erscheinen von Mansfield Park) hatte Großbritannien den Sklavenhandel verboten; der Abolitionismus war heiß diskutiertes und umkämpftes Thema. Leider scheint Austen dann aber der Mut verlassen zu haben. Beide Andeutungen – sowohl die auf die Gartengestaltung (die implizit darauf hindeutet, dass der Reichtum von Sir Thomas ein sehr frischer ist) wie jene auf die in Antiguas Zucker-Plantagen sicher noch herrschende Sklavenwirtschaft (die nebenbei auch erklärt, woher Sir Thomas’ Reichtum stammt) – werden im weiteren Verlauf des Romans nicht mehr angesprochen und bleiben für Schürzung und Lösung des Knotens irrelevant.
Wer sich mit weniger satirisch-ironisch gezeichneten Gestalten als für die Autorin erwartbar anfreunden kann – und das zeitgenössische Publikum konnte das offensichtlich – liest hier einen auch abseits der üblichen Liebesgeschichte interessanten Roman.