Der ach so wichtige Mensch: Anthropozentrismus und Teleologie

Immer wieder mal stolpere ich über Sätze wie den folgenden (diesfalls in dem sehr lesenswerten Buch „Die große Odyssee“ von Lluis Quintana-Murci): „Sowohl die archäologischen als auch die genetischen Daten zeigen, dass der Homo sapiens in Afrika entstand und sich dort mindestens 100 000 Jahre aufhielt, bevor er sich entschloss, den Kontinent zu verlassen“ (meine Hervorhebung). Neben einem gewissen Amusement, wie man sich derlei nun vorstellen soll (eine Horde sitzt beim Brunch am Golf von Suez und blickt sehnsüchtig zur Halbinsel Sinai, worauf Sepp* seiner Kathi den Vorschlag macht, doch nun endlich mal den Kontinent zu wechseln und Asien zu besiedeln), sind solche Beschreibungen Ausdruck einer teleologischen (und offenbar internalisierten) Grundhaltung, die man allenthalben bei historischen, anthropologischen, paläontologischen oder auch philosophischen Werken finden kann.

So erinnere ich die Geschichtslehrbücher meiner Jugend als voll solcher, oft auch verfänglicher Sätze: Der Beschluss der Griechen, den Mittelmeerraum zu kolonisieren, den der Römer, ein Weltreich aufzubauen und diverse Eroberungsfeldzüge zu unternehmen – oft in Zusammenhang mit einer Art zwanghaftem Schicksal, das den Handelnden andere Optionen nicht eröffnete: Karl der Große „musste“ die Sachsen unterwerfen, Papst Gregor VII. Heinrich IV. exkommunizieren (und – denn meine Geschichtsprofessoren stammten aus anderer Zeit – Hitler „musste“ sich dem Feind im Osten zuwenden).

Dieser universelle Anthropozentrismus, der in der gesamten Vergangenheit nichts anderes sieht als eine Vorbereitung des gegenwärtigen Status quo (nebst dem Menschen an seiner Spitze, man betrachte nur die zahlreichen evolutionären Stammbäume: Jedes – noch nicht ausgerottete – Lebewesen könnte aber mit Fug und Recht diese Spitze beanspruchen und behaupten, dass die gesamte Entwicklung nur dazu diente, die Spitzmaus, den Grottenolm oder den Braunsporigen Träuschling hervorzubringen); diese teleologische Denkweise führt – unter anderem – zu jener Selbstgefälligkeit, die uns Gottgleichheit attestiert und nicht begreifen lässt, dass weder all das Leben auf unserer Erde einzig zu unserem Vergnügen und Nutzen existiert noch das Universum mit der unvorstellbaren Zahl an Sonnen und Galaxien bloß als romantischer Hintergrund für die Kopulation zweier Säugetiere figuriert.

In der Geschichtsphilosophie (und – natürlich – speziell bei Hegel) findet sich dasselbe, kurzsichtige Denken: Erwähnter Hegel sah mit dem preussischen Staat das Ende der Geschichte gekommen, Marx wurde die Entdeckung „des Entwicklungsgesetzes der menschlichen Geschichte“ zugesprochen und phantasierte vom proletarischen Paradies (wie selbstgefällig und kleinkariert solche Utopien anmuten, die in ihrer Analyse gerade mal eine Momentaufnahme der Geschichte bieten: Was, wenn wir uns – zum Vorteil aller anderen Lebewesen – nicht abschaffen und noch 50 000 Jahre die Erde malträtieren, wird vom preussischen Staat, von der Klassengesellschaft noch vorhanden sein; haben solche Menschen denn überhaupt keinen Begriff von geschichtlichen Zeiträumen, von ihrer eigenen Sekundenwichtigkeit und Anmaßung?) – und selbst Fukuyama fabelte noch vor gut 30 Jahren vom „Ende der Geschichte“.

Zurück zum inkriminierten Satz: Natürlich ist es verständlich, dass der Mensch als Mensch sich wichtig nimmt wie auch jedes Individuum für sich selbst eine einzigartige Welt ist: Welche mit dem Tod ein für allemal verschwindet; wahrscheinlich wäre ein Einzelner, eine Art, die sich ihrer ephemeren Lächerlichkeit ständig bewusst ist, von der Evolution längst ausgeschieden worden. Aber sich manchmal auf eine Metaebene zu begeben, könnte selbst für vorgebliche Gottgleichheit und einem auf Ewigkeit ausgelegten Denken von Nutzen sein: Wenn wir als Art noch einige Zeit überleben wollen (die einzige Art von befristeter „Unsterblichkeit“, die uns zuteil werden kann), sollten wir uns dringend von der anmaßenden Haltung trennen, dass wir Ziel- und Endpunkt einer (völlig zufälligen!) Entwicklung seien. Weder hat die Ediacara-Fauna den Platz geräumt, um die Vertebrata in Stellung zu bringen, noch haben die Knochenfische im Silur sich an Land begeben, um sich dann irgendwann zu Säugetieren und den Menschen weiter zu entwickeln. Nichts wies auf den Homo sapiens hin. Wenn wir aber dieses ungewollte Zufallsprodukt zu erhalten wünschen, wäre es hilfreich, die Kontingenz unserer Existenz nicht zu vergessen.


*) zugegebenermaßen eine in Bezug auf die Namensgebung eurozentristische Sichtweise, aber in Ermangelung valider Daten bezüglich der beliebtesten Vornamen in Region und Zeit fiel mir nichts Besseres ein.

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