Gottfried Wilhelm Leibniz zur Logik und zur philosophischen Grundlegung von Mathematik und Naturwissenschaft

Band IV der Studienausgabe, die ich zur Zeit mehr oder weniger intensiv durcharbeite, beschäftigt sich mit dem zu seinen Lebzeiten weniger bekannten Aspekt von Leibniz‘ Schaffen: seiner Beschäftigung mit der Logik und der Mathematik, seinen Versuchen, der Naturwissenschaft eine philosophische Basis zu geben. (Diese Studienausgabe erschien zwischen 1965 und 1992 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Leider ist sie nach meinen Recherchen nie vollständig erschienen – Band V/1 (der Briefwechsel des jüngeren Leibniz) fehlt. Schade.) Band IV bringt in zwei Teilen (Logik einerseits – Mathematik und Naturwissenschaft andererseits) jeweils chronologisch angeordnet kleinere oder Ausschnitte aus grösseren Schriften Leibniz‘ zum jeweiligen Thema.

Bertrand Russell in seiner Philosophiegeschichte (Die Philosophie des Abendlandes) macht es Leibniz zum Vorwurf, dass er diesen schwieriger zugänglichen Part seines Werk vor der Öffentlichkeit de facto verheimlicht bzw. nur in Briefen an Freunde diskutiert hat, weil er befürchtet habe, damit u.U. bei der Kirche oder bei seinem Landesherren als Atheist anzuecken. Tatsächlich galt Leibniz noch runde 200 Jahre nach seinem Tod als antiquierter barock-scholastischer Metaphysiker mit der skurrilen  Idee, diese Welt sei die beste aller möglichen, was doch schon Voltaire in seinem Candide erledigt habe. Das Vorwort meiner Ausgabe schreibt denn auch Russell (und anderen) das Verdienst zu, zu Beginn des 20. Jahrhundertes endlich den Logiker Leibniz ins Rampenlicht gerückt zu haben.

Dabei ist es merkwürdig genug. Leibniz war im Grunde genommen der bessere Logiker als Locke, der bessere auch als Descartes. Er kannte sich in den Naturwissenschaften ebenfalls bedeutend besser aus als diese beiden. In der Mathematik nun gar konnte ihm von seinen Zeitgenossen wohl nur Isaac Newton das Wasser reichen. Und dennoch steht der Rationalist Leibniz dem im Grunde genommen empirisch vorgehenden Naturwissenschafter bedeutend mehr im Weg, als dies beim andern grossen Rationalisten, Descartes, der Fall war. Auch in der Logik konnte sich Leibniz Zeit seines Lebens nicht ganz von seinen scholastischen Eierschalen befreien. Während Locke konstatierte, dass die Logik keine neue Erkenntnis bringt (weil sie nur Tautologien produziert, was Locke dann zwar auch nicht so formulieren konnte), glaubte nicht nur der junge Leibniz im Grunde genommen immer noch daran, dass eine Ars magna im Stile von Raimundus Lullus möglich sei und so strebte Leibniz immer wieder danach, die Möglichkeit nachzuweisen, dass durch Logik Erkenntnis zu gewinnen sei. Sprich: Er glaubte daran, dass es eine Kunst der Kombinatorik geben müsse, die zu neuen Erkenntnissen führen müsse. In späteren Schriften legt er zwar den Akzent vermehrt darauf, dass die Logik allenfalls Erkenntnisse prüfen könne – aber die Idee des Erkenntnisgewinns durch Logik scheint er mir nicht ganz ablegen zu wollen.

Dabei schafft Leibniz – als erster, wenn ich das richtig sehe – die Grundlagen zu einer symbolischen Logik, auf der dann erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Frege aufbauen würde. Leibniz studiert die Beziehung von Identität und Inklusion, beschäftigt sich ausführlich mit der Intesionalität und Extensionalität von Propositionen. So nebenbei legt er damit auch die Grundlagen zu einer Mengenlehre.

Der erste Teil von Band IV somit höchst interessant. Im zweiten Teil zu den Naturwissenschaften zeigt sich Leibniz zwar auf der Höhe der Wissenschaft seiner Zeit – aber eben genau das macht, dass dieser zweite Teil nunmehr vermehrt nur noch für den Philosophiehistoriker interessant ist. Dass Leibniz sowohl das Vakuum wie die Atome ablehnt ist eine Ansicht, die er noch mit den meisten Physikern seiner Zeit teilt. Dass er sich darum kümmert, „ob die Gesetze, welche in den Naturerscheinungen walten, bloß eine äußere Herrschaft über sie ausüben, wie Boyle und Sturm meinten, oder ob sie in den Dingen selbst als Kräfte tätig sind, wie Schelhammer und Leibniz behaupteten“ (Heribert M. Nobis), wird heute wohl höchstens noch hartgesottene Metaphysiker interessieren. Interessant allenfalls, dass Leibniz ein Weltbild der Dynamik vertritt, nicht eines der Statik. (Und natürlich müssen die Kräfte in den Dingen sein, weil: Die Monade hat keine Fenster, da kann von aussen bekanntlich nichts eindringen.)

Alles in allem aber zeigt uns Band IV einen Leibniz, der auch von der modernen Philosophie mehr zur Kenntnis genommen werden sollte. Gerade seine logischen Untersuchungen werden meiner Meinung nach noch immer zu wenig zur Kenntnis genommen. Oder sie wurden es jedenfalls zu meiner Zeit …

2 Replies to “Gottfried Wilhelm Leibniz zur Logik und zur philosophischen Grundlegung von Mathematik und Naturwissenschaft”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert