Nathaniel Hawthorne: Dr Heidegger’s Experiment

Bei Dr Heidegger’s Experiment von 1837 handelt es sich um die wohl bekannteste Kurzgeschichte des US-amerikanischen Autors Nathaniel Hawthorne (1804-1864). Zwar ist sie mit Einschlägen aus dem Genre „Science Fiction“ versehen; es handelt sich dabei aber im Grossen und Ganzen um einen satirischen Text. Hawthorne ist vielleicht der erste Autor der Weltliteratur, der den heute zum Standard erhobenen Jugendwahn, den Wahn, auch als älterer und alter Mensch sich jugendlich geben zu wollen und zu müssen, entlarvt und beschrieben hat.

Die Geschichte ist rasch erzählt und verfügt über wenig eigentliche Handlung. Dr. Heidegger, selber ein alter Mann, lädt vier alte Menschen zu sich nach Hause ein, drei Männer und eine Frau. Die Frau, Witwe Wycherly, war in früheren Tagen dem männlichen Geschlecht nicht abgeneigt. So erstaunt es weder den Leser noch den Erzähler wirklich, dass die drei alten Männer zu ihrer Zeit zu den Geliebten der nunmehrigen Witwe gehörten.

Dr. Heidegger erklärt seinen Gästen, dass er sie zur Hilfe bei einem Experiment brauche, und zeigt ihnen eine grosse Schüssel voll Wasser. Er holt eine alte vertrocknete Rose hervor, eine Rose, die ihm vor 55 Jahren von seiner Geliebten verehrt wurde, und legt sie in die Schüssel. Die Gäste sehen voller Staunen, wie sich die Pflanze in kürzester Zeit regeneriert und aussieht, wie frisch vom Stamm abgeschnitten. Er erklärt nun, dass es sich beim Wasser in der Schüssel um das echte Elexier der Jugend handle, von seiner Quelle gezogen irgendwo in Florida. Jedem der Gäste wird ein Glas geschöpft und das perlende, frische Wasser vor ihn hingestellt. Sie trinken. Schon nach dem ersten Glas zeigt sich der Effekt: Aus hässlichen, alten und verschrumpelten Menschen werden welche in der Blüte ihres Lebens – und schon beginnen auch die Männer wieder um die nunmehr guterhaltene Frau in ihren besten Jahren zu buhlen. Noch ein Glas, und in den Kleidern müder alter Greise stecken lebenslustige Jünglinge bzw. eine temperamentvoll überschäumende junge Frau. Sind sie wirklich verjüngt, oder kommen sie sich nur so vor? Der Spiegel scheint drei alte Herren und eine alte Hexe zu reflektieren, die sich da benehmen fast wie Kinder. Doch der Spiegel steht in einer dunklen Ecke und wird nicht weiter beachtet. Die vier Verjüngten laden Dr. Heidegger ein, ebenfalls vom Elexier des Lebens zu trinken, doch der weigert sich. In ihrem jugendlichen Übermut stossen die vier die das Wasser enthaltende Schüssel um. Das Wasser fliesst über Tisch und Fussboden und über die Schwelle hinaus auf die Strasse, wo es versickert. Dr. Heidegger rettet seine Rose, die nun rapide wieder verwelkt. Dasselbe geschieht mit den übermütigen jungen Menschen, die wieder zu den alten verschrumpelten Herrschaften werden, die sie waren. Dr. Heidegger ist der einzige, der den Verlust des Wassers nicht bereut, die andern vier beschliessen, nach Florida zu reisen und die Quelle des Wassers zu suchen, um sich dort niederlassen zu können.

Hawthorne vermag das Wasser im Glas beschreiben, wie es die heutige Werbung nicht besser wünschen könnte. Im Gegensatz zur heutigen Werbung, die die Position der vier alten Herrschaften einnimmt, nimmt der Erzähler (und damit Hawthorne?) die Position von Dr. Heidegger ein, ohne sie aber so zu verstärken, dass der Leser sich der Denkart der vier alten Leutchen völlig verschliessen würde. Sicher sind sie sehr aufs Äussere und auf die Sexualität fixiert – in dieser Hinsicht eine prophetische Vorausschau auf jene Menschen von heute, die sich mit kosmetischen und/oder chirurgischen Mitteln den Effekt zu erhalten wünschen, den Dr. Heideggers Wunderelexier erreichte.

Vielleicht aber handelte es sich beim  „Wasser des Lebens“ doch nur um eine Droge, die euphorisierende, vielleicht aphrodisierende, ganz sicher aber halluzinatorische Wirkungen aufwies? Hawthorne entlässt den Leser mit vielen Fragen. Sympathie und Mitleid mit den vier Testpersonen halten sich die Waage mit der Verachtung für ihr aufs Äusserliche fixiertes Denken. Dieser gelungenen Balance wegen ist Dr Heidegger’s Experiment seit Jahren einer meiner Lieblingstexte aus der US-amerikanischen Literatur.

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PS. Der fehlende Punkt nach „Dr“ ist kein fehlender Punkt, und der Apostroph nach „Heidegger“ kein Deppenapostroph – sondern ganz einfach die Schreibweise des Originals.

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