(Noch mal was Kurzes von Sheridan Le Fanu.)
Einmal mehr stammt die deutsche Übersetzung des Titels von mir. Ich habe für ‚Passage‘ bewusst ‚Auszug‘ genommen, um den wissenschaftlich-neutralen Touch widerzugeben, den das Original hat. Viel von seinem Horror nimmt dieser Text nämlich aus der Diskrepanz zwischen dem sachlichen und nüchternen Stil, in dem erzählt wird, und dem Inhalt, der die Tiefen menschlicher Unmenschlichkeit auslotet.
Einmal mehr findet der Horror in der Familie statt. Die Heldin und Ich-Erzählerin liefert einem ungenannten Freund auf dessen Bitte eine detaillierte Schilderung gewisser Ereignisse, die sie in ihrer Jugend betrafen. Mütterlicherseits schon früh verwaist, verlor sie auch ihren Vater, als sie noch unmündig war. Sie wird zu ihrem Onkel, des Vaters jüngerem Bruder, gegeben. Um diesen ranken sich so einige Gerüchte. Er ist Spieler und soll einmal einen Spielpartner, den er zu sich nach Hause geladen hatte, zuerst im Spiel zu betrügen versucht und dann in seinem Zimmer abgemurkst haben. Da Fenster und Türen des Zimmers des Opfers alle von innen ge- und verschlossen waren, blieb der Mord allerdings unaufgeklärt. Der Vater unserer Gräfin nun stellt ein Testament so auf, dass sich sein Bruder, sollte er ein Schurke sein, sofort in Versuchung geführt fühlt, das Töchterchen noch umzubringen, so lange es minderjährig ist – dies, um sein Vertrauen in den Bruder zu zeigen.
Töchterchen nun taucht in die merkwürdige Atmosphäre des onkeligen Schlosses ein. Das ist ziemlich verwahrlost, weil ihr Onkel sein ganzes Geld verspielt hat, und, wenn er wieder was in die Finger kriegt, es natürlich sofort wieder verspielt. Schon bald freit der Sohn, ihr Cousin, um sie. Sie weist ihn allerdings ab, weil er rau und unanständig daher kommt. Nur mit ihrer Cousine schliesst sie Freundschaft. Eines Tages ertappt sie Vater und Sohn dabei, wie sie das Fenster ihres Schlafzimmers begutachten und offenbar manipulieren. Ihre Nervosität erreicht einen Höhepunkt, und sie beschliesst, für diese Nacht ihre Cousine zu sich ins Zimmer zu holen, um Gesellschaft zu haben. Die Cousine tut wie gebeten, legt sich ins Bett der Gräfin und schläft ein, während diese angezogen unruhig im Zimmer auf und ab geht. Es kommt, wie es kommen muss: Die beiden Unholde, Vater und Sohn, steigen durchs manipulierte Fenster ins Schlafzimmer der jungen Lady. Sie töten die Schlafende in der Meinung, es handle sich um die junge Gräfin. Die aber hat sich hinter einem Vorhang versteckt und schaut der Tat entsetzt zu.
Die junge Frau kann aus dem Schloss fliehen und so werden die Taten der beiden Bösewichte ruchbar.
Die Story ist in ihren Grundzügen immer dieselbe und altbekannt. Der Horror fliesst, wie gesagt, vor allem aus dem nüchternen, fast klinisch kalten Stil, in dem sie erzählt wird. Was auf den ersten Blick ausssieht, wie eine fürs 18. Jahrhundert typische Story um unheimliche Familiengeheimnisse, alte Schlösser in einer gespensterverseuchten Gegend (Irland) und unschuldige Jungfrauen, entpuppt sich zum Schluss als nachgerade dämonisch, wenn unsere junge Gräfin, um die eigene Haut zu retten, tatenlos der Ermordung ihrer Freundin zusieht. Abgründe auch im sogenannt guten Menschen tun sich da auf.
Zusammengefasst: Sheridan Le Fanu versteht es ausgezeichnet, auch in einer relativ kurzen Geschichte, ein ganzes Panorama an Horror aufzustellen – und dies ganz ohne übernatürliche Wesen oder Eingriffe. Chapeau.
„Passage in the Secret History of an Irish Countess“ ist z. B. zu finden in „The Watcher, and other weird stories“
http://www.gutenberg.org/ebooks/40510