Fichte ist der Idealist schlechthin. Und er hält diese Entscheidung zwischen Idealismus und Materialismus für keine zufällige, sondern eine den Menschen charakterisierende: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat. Ein von Natur schlaffer oder durch Geistesknechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben.“ Diese Beschreibung legt Fichtes eigene Entscheidung für das idealistische System nahe, ein System, in dem er sich weitgehend an Kant orientiert. Auch in diesem Artikel ist überall der Königsberger spürbar, wenn da von Pflicht die Rede ist, die Wahrheitsliebe zur Moralität wird, wenn es gilt, seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, da günstige Anlagen an sich noch nichts bedeuten: Immer muss man sich erheben über den Körper, über Gefühle und dem reinen Geist huldigen, um zu einer, allerdings stets ein wenig blässlich bleibenden Einheit der Person zu kommen, ein „reines Selbst“ zu entwickeln, unabhängig von den Meinungen anderer und natürlich auch von etwaigen sinnlichen Begierden (über die sich zu erheben der fichtesche Mensch die Pflicht hat).Und ein Kennzeichen dieses idealen Menschen ist das Streben nach Wahrheit. Wer nun aber darauf wartet, was man unter dieser Wahrheit zu verstehen hat, wartet vergeblich: Der Fichtesche Wahrheitsbegriff bleibt weitgehend im Nebel der Worte verborgen. Dabei ist es nicht so, dass es nicht schon Wahrheitskonzeptionen gegeben hätte (die bekannte aristotelische „adaequatio rei et intellectus“, zu der auch der Aquinate einige durchaus beachtliche Beiträge geliefert hat, indem er diese „Angleichung von Verstand und Sache“ noch differenzierte: Sind die Sachen die Richtschnur, gleicht sich der Verstand den Sachen an; ist es der Verstand, der die Führung übernimmt, so ist es umgekehrt. Wenn etwa ein Künstler von sich sagt, dass er ein „wahres Kunstwerk“ schaffe, so ist ganz offenkundig der Verstand die Richtschnur. Üblicherweise wird der Wahrheitsbegriff aber umgekehrt angewendet. Hegel aber hat etwa – nicht weiter überraschend – den Vorrang des Verstandes hervorgehoben.) Dies alles nur deshalb, weil man ansonsten annehmen könnte, dass das Geschwalle von Fichte einer noch nicht oder noch nirgendwo erfolgten genaueren Definition von Wahrheit geschuldet ist.
Bei ihm hat man eher den Eindruck freien Assoziierens (denn konziser philosophischer Überlegungen): So verwechselt er von Anfang an (in unterschiedlichem Ausmaß) Wahrhaftigkeit und Wahrheit, meint dann, dass jene zu dieser führen müsse, um einige Sätze weiter den Unterschied wieder fallen zu lassen. Auch kommen ihm zwischendurch sogar Zweifel, ob denn das immer beschränkte Individuum tatsächlich Wahrheit bzw. Gewissheit erlangen könne, was er denn (S. 90) als „das härtestes Schicksal“ bezeichnet. Obwohl ich glaube, dass hier nicht von den wirklich erhabenen Individuen (wie etwa Fichte) die Rede ist, sondern nur von jenen minderbegabten, die in ihrem Streben nach Wahrheit nicht zur endgültigen Einheit ihres Selbst (= Moralität = Erhabenheit = Harmonie = unendlicher Genuss – ich hoffe nichts vergessen zu haben, die Wortwahl „schillert“ gewaltig, aber derlei war damals natürlich häufig anzutreffen). Und so bleibt von all den weihevollen Wortkaskaden und Wiederholungen nichts als eine Art intellektueller Selbstfindung, eine Harmonie mit sich, die dann auch zur Wahrheit führt (und vice versa). Das Ganze ist subjektivistisch in höchstem Maße, Wahrheit wird zu einer Art emergenten Erscheinung dieser Selbstfindung (und wieder gilt auch das Umgekehrte). Rein subjektiv: Denn wann ich harmonisch mit mir selbst übereinstimme, soll ja nach Fichte ausschließlich ich selbst bestimmen (und nicht von anderen abhängig machen, auch wenn ich Einwände – manchmal, aber welche? – beherzigen soll), weshalb denn auch ein Massenmörder von sich als von einem in sich selbst ruhenden, wahrhaftigen, moralischen Menschen sprechen könnte (wer wollte nach Fichtescher Diktion ihm mit Fug und Recht widersprechen können?). Diese Bezugslosigkeit, das Absehen von jedem Versuch, genauer zu bezeichnen, welche Begriffe analysiert werden sollen, warum die eine Sache zur anderen führt oder dieses und jenes gleichgesetzt werden kann, das alles hat dann später Nietzsche zur Perfektion (und zur teilweisen Aussage) seiner Philosophie (Dichtung – ich bin bezüglich Nietzsche immer für Dichtung) erhoben. Denn sein Zarathustra nimmt Adenauer vorweg, indem auch er – sinngemäß – sich vernehmen lässt, dass ihn die Wort von gestern nicht wirklich mehr berühren. Das mag nun souverän wirken, würdig, von einem großen, umfassenden Geist zeugen (allerdings – wer von den Philosophen glaubt nicht einen solchen zu besitzen?), ist aber einer auf Argumente sich stützenden Diskussion wenig förderlich.
s.
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