Der das hier wünscht würde heute, wenn so etwas menschenmöglich wäre, 250 Jahre alt. Seine Geburt beschreibt er es in seiner Selberlebensbeschreibung wie folgt:
Es war im Jahr 1763, wo der Hubertsburger Friede zur Welt kam und gegenwärtiger Professor der Geschichte von sich; – und zwar in dem Monate, wo mit ihm noch die gelbe und graue Bachstelze, das Rotkehlchen, der Kranich, der Rohrammer und mehre Schnepfen und Sumpfvögel anlangten, nämlich im März; – und zwar an dem Monattage, wo, falls Blüten auf seine Wiege zu streuen waren, gerade dazu das Scharbock- oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, desgleichen der Ackerehrenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21ten März; – und zwar in der frühesten frischesten Tagzeit, nämlich am Morgen um 1½ Uhr; was aber alles krönt, war, daß der Anfang seines Lebens zugleich der des damaligen Lenzes war.
Das Zitat, das den Titel bildet, ist bezeichnend für Jean Paul. Er versuchte immer, alles in einen Text zu packen, alles Mögliche und – alles Unmögliche. Das macht seine Texte heute schwer fassbar; wir müssen als Leser auf alles gefasst sein. Darauf, dass ein Satz womöglich und länger und verwickelter ausfällt als bei Thomas Mann. Darauf, dass sich der Autor in seinen eigenen gelehrten Anmerkungen derart verstrickt, dass er die eigentliche Handlung aus den Augen verliert. Darauf, dass er die Handlung derart aus den Augen verliert, dass er den Roman abbrechen muss.
Dabei gilt Jean Paul als der erste Romancier deutscher Sprache – in gewissem Sinne ist er der einzige geblieben. Jean Paul war zu Lebzeiten einmal ein Bestseller-Autor, bis das Publikum das Interesse an ihm verlor, weil es merkte, dass er nicht einfach nur komisch und satirisch war, komisch und satirisch sein wollte. Ihn heute zu lesen, ist ein Abenteuer. Nicht, weil seine gelehrten Anmerkungen und Abschweifungen die Lektüre so kompliziert machen. Das kann man gepflegt ignorieren, ohne ein Jota an Genuss zu verlieren. Es ist, weil Jean Paul eine Gefühlslage vertritt, die heute nicht mehr vertreten werden darf: das Sentimentale, das sich selber nicht ernst nimmt und deshalb zwar lächerlich erscheint, aber nicht lächerlich ist. Jean Paul war dazu der erste, der die Frauen realistisch beschrieben hat. Oder sagen wir: Genau so realistisch, wie die Männer. Denn gefühlvoll sind bei ihm beide Geschlechter.
Jean Paul hat neben seinen Romanen – als einziger deutscher Autor – auch eine brauchbare und ernst zu nehmende Ästhetik geschrieben, und eine dito Pädagogik.
Jean Paul sollte auch heute noch gelesen werden. Er zeigt uns, dass im kleinen Mann, der kleinen Frau, der wahre Grossbürger steckt. Jean Pauls Figuren nehmen das Leben sehr ernst, so ernst, dass sie sich ihm nicht stellen wollen. Sie werden verrückt, schiessen sich tot – oder ziehen sich in die Provinz zurück. Das Vorbild des Weisen, wie es die alten Griechen schon sahen. Oder jedenfalls fast.
Jean Paul in diesem Blog:
- Die unsichtbare Loge / Schulmeisterlein Wutz
- Der Komet
- Dr. Katzenbergers Badereise
- Leben des Quintus Fixlein
- Titan
- Flegeljahre
- Siebenkäs
- Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul hat den deutschen Roman erfunden. Er hat auch den modernen Roman erfunden. Und den postmodernen. Man sieht: Ich mag ihn. 🙂
Als Einstiegsdroge ist immer noch Rolf Vollmanns Biografie „Das Tolle neben dem Schönen“ sehr zu empfehlen – eines dieser Bücher, die man zufällig im Regal stehen sieht, herauszieht, und eine halbe Stunde später von der Lektüre aufblickt und versucht, sich zu besinnen, was man denn eigentlich vorhatte …