Kulturhistorische Bücher verlieren sich oft in Beliebigkeit: Die meisten wollen zuviel, versuchen ganze Epochen abzudecken, jede philosophische oder literarische Strömung und deren Vertreter werden aufgelistet und katalogisiert, bis schließlich und endlich das Buch zu einem über Gebühr aufgeblasenen Lexikonartikel verkommt. Man liest, was man in unzähligen Überblicksdarstellungen schon gelesen hat und bleibt mit einem unbefriedigenden Gefühl zurück, so, als ob man seine Zeit wesentlich besser hätte zubringen können.
Und genau das ist das Angenehme dieses Buches: Es will nicht zuviel, beschreibt das Weimar der Goethezeit – nicht mehr und nicht weniger. Der Geheimrat ist Dreh- und Angelpunkt, er ist der Anziehungspunkt für die vielen anderen Besucher bzw. jene, die sich auf längere Zeit in Weimar niederlassen. Mit seinem Tode wird Weimar wieder ein kleines Provinzstädtchen, ein Ausstellungsobjekt seiner selbst.
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Insgesamt ein äußerst lesbares, anekdotenreiches und kurzweiliges Buch, das mehr Leser verdient hätte als manche hochgelobte Darstellungen […].
Mit diesen (und weiteren) lobenden Worten hat mich orzifar im Forum auf das vorliegende Reclam-Buch aufmerksam gemacht.
Und im Grunde genommen habe ich dem Lob orzifars nichts mehr hinzuzufügen. Mit einem gesunden Schuss Ironie, der die Mitte zu halten weiss zwischen Heldenverehrung einer- und Heruntermachen andererseits, wird in sechs Kapiteln, deren zentrales die Freundschaft von Goethe und Schiller behandelt, die deutsche (oder auch: Weimarer) Klassik in ihrer Entwicklung vorgestellt. Vom zaghaften Beginn, noch unter Anna Amalia und ohne Goethe, bis zum Moment, wo Goethe – und mit ihm Weimar – sich selber historisch wird, zum Museum seiner selbst mutiert.
Dreh- und Angelpunkt der Buchs ist dabei, wie der Untertitel ja suggeriert, der Altmeister Goethe. Das vorklassische Leben von Goethe oder Schiller, ihre jeweilige Sturm-und-Drang-Periode, werden komplett ausgeblendet. Auch die Nicht-Literaten – Anna Amalia und ihr Sohn Carl August ausgenommen – kommen nur am Rande vor. Selbst Christiane Vulpius oder Goethes Sohn August spielen allenfalls eine marginale Rolle. Goethes Altersfreund Zelter wie Schillers Jugendfreund Körner sind vor allem als Empfänger von Briefen der beiden Klassiker präsent.
Der Rahmen ist also eng gehalten; in dieser Enge wird aber das Thema erschöpfend und kenntnisreich abgehandelt. Neben Goethe und Schiller sind natürlich vor allem Wieland und Herder präsent. Letzerer durch seinen Charakter behindert, permanent mit der allgemeinen und seiner besonderen Lage unzufrieden, und so mit der Zeit den Kontakt zum alten Freund Goethe verlierend. Seine Freundschaft mit Jean Paul, ja Jean Pauls Gegenwart überhaupt in Weimar, wird leider von Oellers und Steegers fast gar nicht zur Kenntnis genommen. Wieland seinerseits ist der joviale, im Grunde sich selber genügende Weltmann – ein Relikt aus einer anderen Zeit eigentlich. Er ist ja auch als einziger nicht durch Goethe nach Weimar gezogen worden, war sogar schon vor ihm da, berufen durch Anna Amalia – womit sie den Weimarer Musenhof ins Leben gerufen hat.
Die jeweils entstandenen klassischen Werke werden in diesem Buch bewusst nicht interpretiert. Sie signalisieren die Meilensteine in der Entwicklung vor allem Goethes und Schillers, ebenso wie die diversen Periodika: Die Horen und der Musenalmanach von Schiller, Wielands Teutscher Merkur, das Journal von Tiefurt des Musenhofs. In diesem Zusammenhang ist positiv zu vermerken, dass die beiden umtriebigsten Männer Weimars, Böttiger und Bertuch, einen geziemenden Raum einnehmen, und – im Gegensatz zum sonst bei Geisteswissenschaftlern üblichen Hang zur Verachtung wirtschaftlichen Erfolgs – auch keineswegs schlecht gemacht werden.
Das Buch ist explizit „keines für Klassik-Spezialisten“ (Vorbemerkung, S. 7 meiner Ausgabe [Stuttgart: Reclam, 2009]). Tatsächlich erfährt, wer z. B. Friedenthals Goethe-Biografie schon kennt, oder Brufords Culture and society in classical Weimar, 1775-1806 von 1962, nichts Neues. (In diesem Zusammenhang finde ich es bedauerlich, dass die Autoren – offenbar in der Meinung, man dürfe so etwas Nicht-Spezialisten nicht zumuten – zwar Anmerkungen, aber keine weiterführende Bibliografie beigefügt haben. Einerseits wird so der Nicht-Spezialist, der Weiteres zum Thema zu lesen wünscht, im Stich gelassen, der Spezialist andererseits kann die Quellen nicht nachprüfen. Denn das von Oellers und Steegers entworfene Bild Weimars haben sie ja nicht erfunden. Im Gegenteil: Es schliesst nahtlos an jenes Bild an, das – auch in Weimar – bis heute gepflegt wird.)
Das klingt jetzt nach viel Kritik, ist aber natürlich Nörgeln auf hohem Niveau. Im Grossen und Ganzen kann ich mich nämlich dem Lob orzifars nur anschliessen.