Auf Facebook macht gerade eine Art Kettenbrief die Runde, in der einer den andern auffordert, 10 Bücher zu notieren. Hier der Originaltext:
Ich wurde von XYZ eingeladen, eine Liste von 10 Büchern zusammenzustellen. Die Regeln: 10 Bücher im Status auflisten, die mit dir in irgendeiner Weise verbunden geblieben sind. Nimm dir nicht mehr als ein paar Minuten und grübele nicht zuviel. Es müssen nicht perfekte Bücher oder große Literatur sein, nur welche, die dich in irgendeiner Weise beeinflusst haben. Wenn das getan ist, markiere zehn Freunde, so wie der, der dich markiert hat, auf dass sie diese Liste sehen und das Spiel fortsetzen.
Mir selber wurde dieses Stöckchen von Marius Fränzel zugespielt. (Weitergegeben habe ich es übrigens nur noch einer Person. Ich finde, das reicht.)
Meine Antwort enthielt folgende Bücher:
1) Karl May: Der Schut
2) Homer: Odyssee
3) James Joyce: Ulysses
4) Arno Schmidt: Radio-Essays
5) Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise
6) Kuno Raeber: Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze
7) Richard Katz: Übern Gartenhag
8) Eduard Mörike: Maler Nolten
9) Franz Kafka: Das Schloss
10) Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus
Leider fehlt auf Facebook die Frage nach dem Grund der Nominierung gerade dieser Bücher – ich möchte das deshalb hier nachholen.
Der Schut war tatsächlich das erste Buch, das, mit dem meine Karriere als Leser begann. Erst mit diesem Buch entdeckte ich im Alter von 8 oder 9 Jahren, dass Lesen neue Welten aufschliessen kann.
Die Odyssee war dann der zweite grosse Schock. Ausgelöst durch eine Fernseh-Serie über Odysseus bin ich schon früh an Homer geraten. (Denn: Dass Lesen noch besser ist als Sehen, war mir damals schon unbewusst klar.) Und wenn der Schut der Grund ist dafür, dass ich bis heute den Kara Ben Nemsi dem Old Shatterhand vorziehe, ist die Tatsache, dass ich Homer in der Voß’schen Übertragung zum ersten Mal gelesen habe, schuld daran, dass mir diese alte Übersetzung immer noch am besten behagt (im Goethe’schen Sinne).
Von Homer zu James Joyce ist es dann ein kleiner Schritt. Tatsächlich habe ich Ulysses als Gymnasiast das erste Mal gelesen. Auf Englisch. Verstanden habe ich wohl nicht die Hälfte. Aber ich habe mich königlich amüsiert, auch wenn ein Teil dieses Amüsements sicher darauf zurückzuführen ist, dass ich mich nun so richtig als ‚erwachsener‘ Leser fühlte.
Kafka ist dann chronologisch der nächste. Kafkas unheimliche Welt war wohl für den Pubertierenden / Spätpubertierenden gerade die richtige Lektüre mit der pessimistischen Sicht der Dinge, die sich daraus entnehmen liess. Und Das Schloss war tatsächlich der erste ‚lange‘ Kafka, den ich gelesen habe.
Als Gegengewicht muss man den sanften Ironiker und Melancholiker Katz sehen. Landsmann und Zeitgenosse Kafkas flüchtete er nicht in beängstigend-abstruse Traumwelten, sondern in die Realität: in ferne Länder und – in den eigenen Garten. Die Liebe fürs (unbelebte) Detail und fürs Reisen ist mir in meiner Lektüre bis heute geblieben, ja wird immer stärker.
Jean Paul und Mörike waren die beiden, die mich definitiv ins ‚erwachsene‘ Lesen einführten. Dr. Katzenbergers Badereise mit ihrem bissigen Humor mag ich bis heute (und würde das Buch jedem Jean-Paul-Anfänger anraten); von Maler Nolten hat mich eine erneute Lektüre vor ein paar Jahren ernüchtert zurückgelassen. Das mag daran liegen, dass ich seither bessere Meister der mäandrischen Schreibweise kennen gelernt habe – zum Beispiel Jean Paul in seinen übrigen Romanen.
Wittgenstein war der, mit dem mein philosophisches Denken (so viel davon vorhanden ist) begonnen hat. Die Philosophischen Untersuchungen fand ich seinerzeit als Student interessanter – geformt aber hat mich dann doch wohl der Traktatus.
Arno Schmidts Radio-Essays über dieses oder jenes alte Buch hat, als ich zufällig in einer Buchhandlung über die vier Bände der Sonderausgabe stolperte, mein Interesse an der ‚alten Litteratur‘ wieder geweckt – auch wenn viele der Empfehlungen Schmidts höchst bedenklich sind, weil ungerechtfertigt.
Kuno Raeber dann ist eine Entdeckung der letzten Jahre. Er hat mir gezeigt, dass auch im 20. Jahrhundert wohl noch verborgene Schätze zu entdecken wären.
Ich hätte zum Teil sicher auch andere Bücher und Autoren nennen können. Statt Kafka zum Beispiel die den Pubertierenden ebenso beindruckenden Hemingway oder Hesse. Statt Mörike Die Nachtwachen des Bonaventura. Aber man sollte ja nicht zu viel grübeln…