Gustav Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit (3)

Dies ist in meiner Ausgabe der letzte Band des ehemals so berühmten Werks. Ich vermute, die vier Bände, die gemäss Wikipedia existieren sollen, sind bei mir ganz einfach in deren drei zusammengequetscht worden. Jedenfalls setzt der Autor noch einmal beim Ende des Dreissigjährigen Kriegs an, beim Westfälischen Frieden. Freytag zeichnet nochmals ein Bild des ‚kleinen Mannes‘ im 17. Jahrhundert. Vieles von dem, was er in meinem Band 3 beschreibt, hat er so oder ähnlich bereits einmal beschrieben – das haben wir ja schon bei Band 2 festgestellt: An einem Lektorat mangelt es den Bildern aus der deutschen Vergangenheit grundsätzlich.

Freytags Fokus im 17. Jahrhundert liegt auf dem Verhältnis zwischen Mann und Frau (am adligen Hof wie auf dem Bauernhof), auf der nur langsam wieder stattfindenden Re-Integration der zu Räubern und Plünderern verkommenen Soldateska aus dem Dreissigjährigen Krieg, der einsetzenden (und von ihm positiv bewerteten!) Integration der Juden im Zug der aufkommenden Toleranz auch zwischen Katholizismus und Protestantismus.

Im letzten Buch, unter dem Titel Aus neuer Zeit widmet sich Freytag dann dem 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – geht also bis praktisch in seine Gegenwart hinein. Als herausragende Erscheinungen behandelt er den Pietismus und darauf folgend die Aufklärung, wo er mit Leibniz und später Kant natürlich wieder Deutsche an vorderster Front findet. Ein Kapitel über das neue Soldatenleben (Aus der Garnison) ist für Freytag dann die willkommene Brücke in die Geschichte jenes Staates, den er offenbar als Idealtypus des deutschen Staates sieht: Preussen. (Das beim Westfälischen Frieden re-formierte Deutsche Reich, schon Ende 19. Jahrhundert nur nominell noch existierend, und unter einem katholischen und auch für nicht-deutsche Staaten ‚zuständigen‘ Habsburger, lehnte er eindeutig ab.)

Soldatenleben also – und somit Soldatenkönig: Friedrich Wilhelm I. macht den Anfang der nunmehr der preussischen Vergangenheit gewidmeten Bilder. Auf dessen Darstellung folgt natürlich die von Friedrich dem Grossen. Freytag sieht offenbar in Friedrich II. das Ideal des deutschen Herrschers, der auch das Ideal eines deutschen Staates verwirklichen hätte können. Kein Wunder, Friedrich II. ist Protestant und aufgeklärt (auch wenn Freytag Friedrichs Vorliebe für französische Sprache und Kultur, für Voltaire nicht so ganz nachvollziehen kann). Und so kommt der alte Fritz zur Ehre, dass er neben Martin Luther der einzige der grossen Männer ist, der selber zu Worte kommt – und dies sogar sehr ausführlich.

Eine Art Interludium ist dann noch dem sich entwickelnden Bürgertum gewidmet, und – beispielhaft für den einsetzenden Fortschritt in Wissenschaft und Technik – Blanchards Ballonfahrten. Die Faszination, die dessen Schaufahrten aufs Publikum ausgeübt haben müssen, können wir heute (vielleicht im Wissen, dass die Ballonfahrt eine verkehrstechnische Sackgasse bildete) kaum noch nachvollziehen. Ich finde allerdings, dass sie von Adolph Knigge in der Reise nach Braunschweig – zwar satirisch überhöht – besser und lebendiger dargestellt wurde, als in Freytags Schilderung eines Starts von Blanchard in Nürnberg.

Wie dem auch sei – im Neffen und Thronfolger des grossen Friedrich, Friedrich Wilhelm II., sah Freytag die grosse Zeit Preussens bereits im Untergang, Friedrich Wilhelm II. als noch von den Taten des grossen Friedrich zehrend, aber dessen preussische Tugenden schon nicht mehr vertretend. Tatsächlich allerdings war es erst des Zweiten Sohn wiederum, Friedrich Wilhelm III., welcher in den Kriegen mit Napoléon so wenig Glück hatte, und Preussen zum Vasallenstaat von Napoléons Gnaden verkommen liess – bis ihn, und das gefällt Freytag dann natürlich wieder – de facto das Volk zu einem weiteren Krieg zwingt, in dem dann schlussendlich Napoléons Vorherrschaft über Europa gebrochen wird. Die Lektüre von Freytags Schilderung der napoléonischen Kriege macht einem rasch klar, wie noch über Jahrzehnte die Stimmung zwischen Deutschland und Frankreich äusserst schlecht sein konnte: Napoléon ist für Freytag einfach der rücksichtslose Aggressor und Diktator; selbst dessen Reform des deutschen Justizwesens wird als Überstülpung fremden Gedankenguts denunziert.

Doch Freytags Geschichtsschreibung endet positiv, mit einem (interessanterweise auf Süddeutschland beruhenden) Hoffnungsschimmer auf endgültige Heilung des deutschen Wesens und Staats.

Fazit: Wenn Freytag Szenen aus dem prallen Leben schildert, ist er unter den Geschichtsschreibern, die ich kenne (und ich kenne mittlerweile ein paar) einzigartig. Seine polititische Einstellung – zum alten Fritz, zu Frankreich, zu den Juden – ist die des deutschen Bürgertums des 19. Jahrhunderts, was wohl den Erfolg der Bilder aus der deutschen Vergangenheit beim Publikum bis weit ins 20. Jahrhundert erklärt. Wenn man den Historiker heute selber historisch liest, wird man so einige Unterströmungen finden, die dann in der Weimarer Republik so plötzlich aus dem Untergrund heraustraten. Aber ein Historiker war schon immer ein Prophet ex post.

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