Michel Houellebecq: Unterwerfung

Die Koinzidenz von Erscheinungsdatum und den Pariser Anschlägen hat dem Buch eine makabre PR verschafft (ohne die ich es wahrscheinlich auch nicht gelesen hätte). Auch wenn die beiden Dinge nur an der Oberfläche miteinander zu tun haben: Denn der von Houellebecq dargestellte Islamismus ist ein gänzlich anderer, er ist vor allem paradigmatisch zu verstehen: Nicht als Glaubensbekenntnis zu einer bestimmten Religion, sondern als Folge eines dekadent-hilflosen Humanismus, der in keiner Weise den gesellschaftlichen Anforderungen der Zeit genügt.Den Protagonisten kennt man auch aus anderen Werken Houellebecqs: Gut situierter Intellektueller (hier ein Professor für Literatur an der Pariser Sorbonne) in der Midlife-Crisis, apolitisch, selbstgefällig und ständig auf der Sinnsuche: Die in ständig wechselnden Affären mit Studentinnen oder in den schummrigen Zimmern der Damen des Escort-Service – auf wenig befriedigende Weise – enden. François, Spezialist für französische Literatur des 19. Jahrhunderts (besonders Joris-Karl Huysmans hat es ihm angetan, der – selbst ein Suchender – schließlich Laienbruder wurde) versucht sich auch auf diesem spirituellen Weg: Er endet ebenso unbefriedigend wie alle anderen Versuche der Sinngebung.Von den politischen Veränderungen in Frankreich nimmt er anfangs kaum Notiz: Sie betreffen ihn nur am Rande, veranlassen ihn bestenfalls zu Glossierungen, allgemeinen Bemerkungen. Nachdem es der islamische Kandidat überraschend in das Finale der Präsidentenwahlen geschafft hat und dort auf die Kandidatin des Front nationale trifft, einigen sich die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien im Gegenzug für eine Regierungsbeteiligung darauf, den Führer der islamischen Bewegung zu unterstützen. Der dann die Wahlen überlegen gewinnt.

Sofort setzt eine schleichende Islamisierung ein, Frauen wird die Lehrbefugnis an den meisten (von den Saudis finanziell unterstützten Universitäten) entzogen, im Schulunterricht wird der Religionsunterricht wieder eingeführt, alles wird auf eine patriarchalische Gesellschaft ausgerichtet: Was – wegen der Vertreibung der Frauen aus den Berufen – einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Die Familie ist der neue Mittelpunkt des Staates: Für das finanzielle Überleben, die soziale Fürsorge ist nun immer stärker diese familiäre Zelle zuständig, der Staat unterstützt Kleingewerbetreibende (die dieser Clan-Struktur entsprechen), zieht sich aber aus den meisten Bereichen eines typisch westlichen Sozialstaates zurück.

Und die Gesellschaft nimmt dies alles ohne viel Murren hin. François, der als Nicht-Muslim seine Lehrberechtigung verliert und in Frühpension geschickt wird, fällt nun – weil auch den letzten Pflichten enthoben – endgültig einer schweren Sinnkrise anheim. Man ahnt es schon von Beginn an: Er lässt sich schließlich zur Konversion bereden, teilweise aus Überzeugung, noch mehr aus grundsätzlichem Mitläufertum. Und findet sich so als wohlbestallter Universitätsprofessor wieder, der nun seine sexuellen Interessen auf mehrere Ehefrauen verteilen kann (eine Vorstellung, die ihm ausnehmend gefällt).

Das alles hat weniger mit Islamkritik zu tun als mit einer Kritik am saturierten, intellektuellen Wohlstandsbürger des 21. Jahrhunderts. François ist – wie erwähnt – ein typisch houellebecq-scher Charakter: Dekadent, opportunistisch, desinteressiert – außer am eigenen Wohlbefinden. Aber diese Kritik langweilt, sie fällt so wenig originell und klug aus wie alle anderen Bücher des Autors, bleibt oberflächlich, schematisch, manchmal auch fehlerhaft (wenn etwa Freud und Thomas Mann als Kritiker des Ersten Weltkrieges angeführt werden). Die politische Analyse beschränkt sich auf – von der Presse verschwiegene – Straßenkämpfe von Rechtsradikalen und Islamisten, die schleichende Islamisierung wird schließlich als krudes Faktum präsentiert: Eine ehemalige Professorin findet sich ohne jeden Protest mit ihrer neuen Rolle als kochende Hausfrau ab. Diese Unterwerfung der Frau erfolgt so selbstverständlich wie die gesellschaftliche Unterwerfung: Das Abendland ist dem Untergang geweiht wie weiland das Römische Reich, dass den Barbaren weichen musste. Dieses ganze Szenario ist äußerst oberflächlich und vereinfachend – und nicht selten hatte ich den Eindruck, dass die Grundidee des Buches einzig dazu diente, die üblichen Figuren in Szene zu setzen und mit einigen pornographischen Szenen dem Ganzen einen aufgeschlossen-antireaktionären Charakter zu verleihen.

Ich habe einige Bücher von Houellebecq begonnen, sehr wenige fertiggelesen und bin nun endgültig zur Überzeugung gekommen, dass dieser Autor nichts zu schreiben vermag, das (meine) Aufmerksamkeit verdient. Einer der überschätztesten Autoren der Gegenwart.

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