Florian Illies: 1913

Die Idee eines “Kulturalmanachs” des Jahres 1913, der sich aus den verschiedensten Aufzeichnungen, Tagebucheintragungen, Briefen, Notizen oder Schlagzeilen speist hat einen gewissen Reiz. Und wenn man mit diesen historischen Versatzstücken ein wenig spielt, Möglichkeiten und Umöglichkeiten bedenkt, sie in einen fiktiven Zusammenhang stellt, dann kann daraus etwas Geistreiches und Kluges werden, eine Collage aus intelligent verbundenen Quelltexten, die eine etwas andere Ansicht des betreffenden Zeitraumes erzeugen. Wobei natürlich auch das Jahr gut gewählt ist, das eigentliche letzte des 19. Jahrhunderts (denn Zeiträume halten sich nicht immer an das dekadische System, ich würde das 20. Jahrhundert auch mit 1989 enden lassen wollen, 75 Jahre sind genug für dieses letzte Jahrhundert, noch mehr hätte die Welt nicht ertragen), das letzte der vormodernen Zeit, denn schon bald darauf sollte nichts mehr so sein wie früher und die Änderungen sich als dauerhaft herausstellen.

Aber aus einer guten Idee muss kein gutes Buch werden. Das alles liest sich leicht, im plaudernden Feuilletonstil, der eine Intimität mit Künstlern und Kunst, mit Ideen und Personen suggeriert, aber dann doch – und immer mehr – in einer selbstgefälligen Manier Altbekanntes auftischt und mit seinem vorgeblichen Witz an der Oberfläche bleibt. Wobei das nun so schlimm nicht wäre, auch wenn Unterhaltung Tiefgang durchaus verträgt: Was hingegen wirklich verärgert ist die Tatsache, dass Illies so gar nichts anderes anzubieten hat als die altbekannten Klischees Kafka, Rilke oder Trakl betreffend (um nur drei beliebige Protagonisten herauszugreifen). Die künstlerische Prominenz wird auf ihre allüberall kolportierten Eigenheiten reduziert, sie werden zu Karikaturen ihrer selbst, zu jenen leicht lächerlichen und schrulligen Figuren, als die sie im allgemeinen erinnert werden. Kafka ist hilflos gegenüber jedweder Weiblichkeit, Rilke hypochondrisch, Musil ebenso und Trakl denkt permanent an Drogen oder den Inzest mit seiner Schwester.

In einem Buch, das ganz offenkundig einen gewissen intellektuellen Anspruch erhebt, hätte ich anderes erwartet – ja im Grunde das Gegenteil: Ich hätte gerne den Menschen hinter dem Künstler, hinter dem Anekdotischen (das, aus dem Zusammenhang gerissen, eine immer ungenügende Sicht der Dinge vermittelt) gesehen, jenen Menschen, der dann diesem vermeintlich Seltsamen seinen Sinn verleiht, dessen Qual (oder auch Lust oder Verzweiflung) den Zitaten tiefere Bedeutung verleiht. Illies hingegen bedient alle nur erdenklichen Stereotypen, ihm ist es nirgendwo um penible Recherche, um psychologische Genauigkeit, um die sich tatsächlich auftuenden seelischen Abgründe zu tun, sondern nur um ein mögliches Bonmot, eine kleine Witzelei, vorgeblich geistreiches Wortgeklimper. Diese immer ironisch-süffisante Darstellung, die sich keinen Kalauer verkneift, wirkt auf Dauer nur noch überheblich und selbstgefällig – und neben dieser Eitelkeit glaubt man eine Art Dünkel zu spüren, mit dem der Autor auf die von ihm – zuerst lächerlich gestalteten Personen – glaubt dann herabsehen zu dürfen. Die Form der Darstellung durch die montierten Originalzitate verstärkt das alles noch: Es wird der Eindruck einer Vertrautheit des Autors mit dem Stoff erweckt, der ihn zu seinen überheblichen Urteilen berechtigt.

Tatsächlich aber wird dem Publikum das vorgeführt, was es schon immer zu wissen glaubte: Künstler sind voller Seltsamkeiten, Dichter weltfremd, zu keinem normalen Sexualleben befähigt und selbst in den banalsten Situationen nicht in der Lage, mit den simpelsten Anforderungen des Lebens zurande zu kommen. Das ist so dumm wie falsch, es sind Platitüden, die ein solches Buch hätte in Frage stellen sollen, hier aber wurden die plattesten Vorurteile – mit ein wenig Ironie verbrämt – ausgewalzt und bestätigt. Eigentlich Ratgeberliteratur: Wie mache ich – bar jeder kulturhistorischen Kenntnisse – auf der nächsten Vernissage zwischen Lachsbrötchen und Champagner einen möglichst geistvollen Eindruck?

Allerdings hat die Form der Präsentation das Potential zum Bestseller: Wird doch die große Menge in ihren Meinungen vollinhaltlich bestätigt, kann sich der bescheiden Literaturkundige daran erfreuen, dies oder jenes schon gewusst zu haben und seine klischeehaften Bilder mit einigen neuen Ausmalungen versehen. Für mich hingegen ein Ärgernis, gerade weil der vermeintliche Anspruch so gar nicht eingelöst werden konnte.


Florian Illies: 1913. Frankfurt a. M.: Fischer 2013.

1 Reply to “Florian Illies: 1913”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert