Erasmus von Rotterdam: Dialogvs, Ivlivs exclvsvs e coelis / Julius vor der verschlossenen Himmelstür, ein Dialog. Institutio Principis Christiani / Die Erziehung des christlichen Fürsten. Querela Pacis undique Gentium ejectae profligataeque / Die Klage des Friedens, der von allen Völkern verstoßen und vernichtet wurde

In einem weiten Sinne sind es Erasmus’ Schriften zur Politik, die Band 5 meiner Erasmus-Ausgabe enthält.

Die erste, Julius vor der verschlossenen Himmelstür, ist eine scharfe Satire. Praktisch im Dialog (nur Julius’ Genius spielt noch eine Nebenrolle) wird uns vorgeführt, wie Papst Julius II. nach seinem Tod vergeblich Einlass ins Paradies begehrt. Petrus lässt ihn draussen stehen. Julius II. wird dabei von Erasmus als ein macht- und kriegslüsterner Fürst dargestellt, der mehr Wert auf die territorialen Gewinne des Kirchenstaates gelegt hat, als auf das Gewinnen von christlichen Seelen. Julius II. ist tatsächlich ein Renaissance-Fürst, wie er dann von Jacob Burckhardt als Typ dargestellt wurde: Auf weltliche Macht versessen, aber auch den Musen hold – Julius II. führte nicht nur beständig Krieg, er gründete nicht nur die Schweizerwache, er legte auch den Grundstein für den Petersdom und verbot erfolgreich, dass in Zukunft der Posten eines Papstes gekauft werden könne. Erasmus sieht nur den Krieger und verdammt Julius II. wegen seiner Machtpolitik, so wie er Julius’ Namenspatron Julius Cäsar wegen dessen Aspirationen zur Macht verdammt.

Der zweite Text ist dann ein rein theoretischer. In verschiedenen Kapiteln legt Erasmus dar, wie ein Fürst und Landesherrscher idealerweise erzogen werden sollte. Man kann mit der Herausgeberin und Übersetzerin von Band 5, Gertraud Christian, bemängeln, dass Erasmus’ Vorschläge nicht in die Praxis umzusetzen sind. Realpolitiker war Erasmus sicher keiner. Ich bezweifle, dass Erasmus überhaupt daran dachte, dass seine Vorschläge einer Fürstenerziehung je auch nur ansatzweise übernommen werden würden. Er verfasste von Anfang an eine Theorie, mehr Ethik denn Pädagogik. Er schildert, inhaltlich stark an das Ideal des Herrscher-Philosophen aus Platons Staat angelehnt, den Charakter eines idealen Herrschers. Er gibt zwar Hinweise darauf, durch welche pädagogischen Tricks der noch kindliche Fürst darauf hingelenkt werden könnte, aber diese Hinweise wirken merkwürdig blutleer. Während er Platon für für den moralischen Inhalt seiner Theorie verwendet, zitiert er für seine Definitionen und Abgrenzungen aus den politischen Schriften des Aristoteles. Nur einmal zitiert wird aus der Kyrupädie Xenophons, einer Schrift, die ich des öftern erwähnt vermutet hätte. Man kann Rückschlüsse auf Erasmus’ Herrscherideal ziehen, wenn man weiss, dass er aus Xenophons Oikonomikos mehr zitiert – einer Schrift, die sich v.a. mit Haus- und Agrarwirtschaft beschäftigt: Der Herrscher ist der kluge Hausvater, der den Streit mit seinen Nachbarn vermeidet. (An andern Stellen wird der Steuermann eines Schiffs herangezogen – da geht es vor allem darum, dass auf einem Schiff nicht der Sohn des alten Steuermanns diese Aufgabe übernimmt, sondern der, der dafür am besten geeignet ist durch Ausbildung, Alter etc. Wenn 250 Jahre später Georg Forster in James Cook auch ein Ideal des Herrschers sieht, so hat er also – wohl ohne es zu wissen – sich auf den alten Erasmus bezogen.) Ausserdem sind die Leseempfehlungen ‘verräterisch’, die Erasmus seinem Fürsten (bzw. dem Erzieher desselben) gibt: Platon fast verschämt als Coda, Aristoteles aber ganz offen, Plutarch, und Ausschnitte aus Seneca und Cicero. Nicht unbedingt kindgerechte Lektüre.

Erasmus’ Staatsutopie sollte übrigens nur zwei Jahre später in Thomas Morus’ Utopia mit vielen thematischen Anklängen wieder aufgenommen werden.

Die Klage des Friedens leidet übersetzungstechnisch ein wenig darunter, dass Pax im Lateinischen weiblich ist, hier auch ganz eindeutig eine Frau spricht, im Deutschen aber sich der Friede mit maskulinen Pronomen auf sich selber beziehen muss. Erasmus beklagt aus dem Mund des Friedens vor allem die Opfer der Kriege, die unschuldige Bevölkerung. Auch die Tatsache, dass offenbar Verträge und Friedensabkommen das Papier nicht wert sind, auf dem sie festgehalten wurden, bedauert er sehr. (Warum er allerdings auch hier über Julius II. herzieht und seinen Nachfolger, Leo X., über den grünen Klee lobt, entzieht sich dem Verständnis des die Dinge aus dem Rückblick von 500 Jahren betrachtenden Historikers. Leo X. führte de facto die Politik seiner Vorgänger auch in Bezug auf die Machterhaltung des Kirchenstaats auf italienischem Boden ungeniert weiter. Ja, Leos Politik war der letzte Auslöser des Schismas der Reformation. Ein Lob hätte ihm eigentlich schon damals von Erasmus nicht gebührt.)

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