Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen

Ein sehr umfangreiches, mit Informationen vollgepacktes Buch – und eine Lektüre, die sich wie immer bei Jared Diamond wahrlich lohnt. Er untersucht untergehende Gesellschaften der Vergangenheit und extrapoliert auf gegenwärtige Entwicklungen, wobei er fünf Faktoren ausfindig macht, die für einen solchen Niedergang verantwortlich zeichnen:

  • Schäden, die eine Bevölkerung ihrer Umwelt unabsichtlich zufügt
  • Klimaveränderungen
  • Feindliche Nachbarn
  • Abnehmende Unterstützung durch wohlgesinnte Nachbarn
  • Reaktionen auf ökologische oder sonstige Probleme

Als Paradebeispiel für eine untergegangene Kultur dient ihm jene der Osterinsel: Bei ihrer Entdeckung fand man eine völlig entwaldete Insel vor, riesige Steinstatuen und einige wenige Bewohner, die mit oft unzulänglichen Mitteln ihr Leben fristen mussten (vor allem deshalb, weil ihnen der Rohstoff Holz fehlte und sie daher nicht einmal über seetüchtige Kanus verfügten). Umso mehr erstaunte man über die steinernen Bildsäulen: Wie war es möglich gewesen, diese zu transportieren, aufzurichten ohne Holzbalken, Seile oder Maschinen? Schließlich stellte man fest, dass es gerade diese Statuen waren, die den Bewohnern ihren Untergang gebracht hatten: Man hatte für den Transport die letzten Wälder gerodet (allerdings auch schon zuvor Raubbau betrieben, um Boden für die Landwirtschaft zu gewinnen bzw. Brennmaterial) und sich dadurch der Lebensgrundlage beraubt.

Und es drängt sich die Frage auf: Was haben jene gedacht, die den allerletzten Baum auf dieser Insel gefällt haben, waren sie nicht in der Lage oder Willens, das Fatale ihres Tuns zu erkennen? Nun ist ein solches ökologisches Desaster ein schleichender Prozess, es hat Jahrhunderte gedauert, bis aus der bewaldeten Osterinsel ein ödes Eiland wurde und für die letzten Holzfäller war der Anblick einer weitgehend verödeten Landschaft längst zur Gewohnheit geworden. Begriffen sie aber nicht, dass sie mit ihrem Verhalten sich um ihre Grundlagen brachten? Vielleicht, allerdings waren andere Motivationen offenkundig stärker: Nämlich die Machtdemonstration mittels einer noch größeren Statue als die andere Gruppe sie besaß, wobei es sich dabei sowohl um die Zurschaustellung weltlicher als auch religiöser Macht gehandelt haben dürfte. Bevor man aber die einfältige Verhaltensweise vorgeblicher Primitiver verurteilt sollte man einen Blick auf unsere Gegenwart werfen: Wird man nicht in der Zukunft ähnliche Fragen an uns richten – bezüglich der Zerstörung von Lebensraum, dem Verbrauch von Ressourcen, der Tatsache, dass eine Hälfte der Menschheit an Adipositas leidet während andere immer noch zu Hundertausenden verhungern? Haben die das nicht verstanden, nicht gesehen, warum haben sie die so deutlichen Zeichen nicht richtig interpretiert und ihr Verhalten geändert?

Unsere Antworten würden wohl ähnlich hilflos wirken wie die der Bewohner der Osterinsel: Wobei diese einige Faktoren nicht kennen konnten, weil ihnen die Erfahrungen fehlten, während wir sowohl diese Erfahrungen besitzen als auch plausible Zukunftsszenarien zu erstellen in der Lage sind. Insofern scheint unsere eigene Dummheit ungleich größer und unverzeihlicher.

Diamond beschreibt neben den Kulturen des pazifischen Raumes weitere Gesellschaften, die ebenfalls verschwunden sind: Die Anasazi im Südwesten der USA, die Maya oder auch den Versuch der Norweger, auf Grönland Fuß zu fassen, ein Unternehmen, das nach einigen hundert Jahren endgültig scheiterte. Zumeist waren es mehrere der oben gelisteten Faktoren, die dazu führten, immer aber auch waren es falsche Entscheidungen in bereits prekären Situationen. So etwa wollten die Wikinger ihre Kultur und ihren Lebensstil nach Grönland importieren, was nur unter klimatisch günstigen Bedingungen funktionierte: Sie waren aber nicht in der Lage, ihr Verhalten – wie die Innuit – zu adaptieren und damit ihr Überleben zu retten.

Schließlich vergleicht der Autor diese geschichtlichen Vorgänge mit rezenten Katastrophen bzw. Situationen: Dem Massaker in Ruanda, das erst in zweiter Linie auf ethnische Spannungen zurückgeführt werden kann, den unterschiedlichen Bedingungen in der Dominikanischen Republik und in Haiti, einer erst sukzessive die aus England importierten Werte abbauenden australischen Gesellschaft als auch mit China, das er als einen „torkelnden“ Riesen beschreibt. Die letzten Kapitel sind den Alternativen gewidmet, die uns entweder den Untergang bringen oder aber retten werden: Er weist besonders auf den nicht vorhandenen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie hin, aber auch darauf, dass kurzfristiges Denken, kurzfristige Gewinnmaximierungen diesen Widerspruch scheinbar aufheben. Solange derjenige, der diesen Gewinn auf Kosten der Umwelt macht, sich von den Folgen dispensieren kann, wird er sein Verhalten kaum ändern. Doch Diamond erinnert in diesem Zusammenhang an den Untergang der Wikinger auf Grönland, der schließlich auch die Mächtigen und Reichen, die sich lange Zeit den prekären Verhältnissen entziehen konnten, in den Abgrund rissen: Nachdem zahlreiche kleine, unrentable Höfe aufgegeben werden mussten, wurden die großen Anwesen gestürmt und gingen ebenfalls unter. In einer vernetzten Welt kann sich schließlich niemand mehr den Konsequenzen einer unverantwortlichen Politik entziehen, auch wenn eine Elite in abgesicherten, bewachten Satellitenstädten noch ein wenig länger die Vorteile dieses Wirtschaftens genießen kann.

Unabhängig davon, ob man dem Autor überall hin folgen will, seinen Schlussfolgerungen zustimmt, schätze ich an seinen Büchern den enormen Informationsgehalt, das große Wissen, das er zu vermitteln versteht. Es ist etwas Faszinierendes und Spannendes, den Wikingern bei ihren Kolonisierungsbemühungen in Grönland zu folgen oder die Kultur der Anasazi (von der man ansonsten bestenfalls in anthropologischen Fachpublikationen erfährt) in ihrem Aufstieg und Untergang zu begleiten. In diesem Zusammenhang sei auf ein anderes, ebenso lesenswertes Buch von Jared Diamond verwiesen: „Arm und Reich“, das gerade in anthropologischer Hinsicht von noch größerem Interesse ist. Ein Lesegenuss, den ich nur wärmstens empfehlen kann.


Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a. M.: Fischer 2006.

2 Replies to “Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert