Georg Forster: Briefe

Gerhard Steiner, der Herausgeber meiner vierbändigen Forster-Werkausgabe, erschienen 1971 bei Insel-Ost, dessen vierten Band die vorliegenden Briefe darstellen, spricht in seinem diesem Band beigefügten Essay Georg Forster und das Schreiben – nicht nur von Briefen sinngemäss und unter anderem davon, dass man eigentlich bei Forster den historisch-kritischen Briefwechsel lesen sollte. Er meint damit vor allem, dass in der Insel-Ausgabe nur Briefe von, nicht aber welche an Forster figurieren, aber man kann das noch erweitern. Wir haben nämlich im vierten Band nicht nur keine Briefe an Forster dabei, wir finden nicht einmal alle Briefe von Forster darin. Die beinahe 1’000 Seiten des Bandes zeichnen so zwar ein gutes Bild von Forster, aber wir wissen nicht, ob es letztendlich nicht einfach nur der Forster ist, den uns Gerhard Steiner zeigen will. Auch wird bei den Briefen aus Forsters letztem Lebensabschnitt, wo vor allem noch welche an seine Frau Therese aufgeführt sind, das eine oder andere Mal darauf hingewiesen, dass ebendiese Therese bei der ersten Veröffentlichung der Briefe stark kürzend und ändernd eingegriffen hätte – wohl um die völlig verfahrene Situation zwischen den beiden etwas zu beschönigen. Es wird aber nicht klar, ob das nun in andern Fällen auch zu vermuten ist. Mit andern Worten: Es fehlt ein ausführlicher textkritischer Teil.

Forsters Briefe, wie wir sie im vierten Band finden, zeigen uns einen Mann, der sich am wohlsten fühlt, am besten entwickeln kann, wenn er im Gespräch ist. Am liebsten ist ihm die direkte, mündliche Konversation, ein Briefwechsel ist ihm schon nur blasser Ersatz; aber selbst seine grossen Schriften wird er im Grunde genommen im Dialog abfassen – der Bericht von der Weltreise ist de facto nur ein redigiertes Tagebuch, also ein Dialog mit sich selber, die Ansichten vom Niederrhein bestehen aus den (ebenfalls redigierten) Briefen an Therese.

Auch die Stationen seines Lebens lassen sich nach diesem Gesichtspunkt einordnen: Forster ist umso glücklicher und zufriedener, je mehr sich ihm an einem Ort die Gelegenheit zum Dialog mit Gleichgesinnten bietet. In Kassel sind es vor allem Soemmerring und Johannes (damals noch nicht: von) Müller. Mit beiden wird er ein Leben lang im Briefwechsel bleiben. Aber auch die briefliche Nähe zu Göttingen ist reizvoll. (Die Stadt selber wird er später als kalt und gefühllos abtun.) Er lernt Merck und Lichtenberg kennen – über beide spricht er zuerst schlecht (wie auch über Müller), revidiert aber seine Vorurteile jeweils rasch. Der Streit zwischen Voß und Lichtenberg über die richtige Aussprache des Alt-Griechischen bringt Forster in eine Bredouille – nicht, weil er Voß näher kennen würde, aber er kennt dessen Freund Jacobi. Jacobi wird ihn nur wenig später erneut in die Zwickmühle bringen, zwischen zwei Freunden wählen zu müssen, als er sich mit dem jungen Goethe entzweit. Doch diese Stürme im Wasserglas beruhigen sich alle wieder. Aus Kassel schreibt Forster auch an Archenholz, Bürger oder Goeckingk, was zeigt, dass er praktisch mit allem, was damals literarisch Rang und Namen hatte, in Briefkontakt stand.

Dass er Kassel verliess, hatte nicht nur mit seiner unbefriedigenden beruflichen Situation am Carolinum zu tun, wo er sich zwar ‚Professor‘ nennen durfte, de facto aber 12-jährigen verwöhnten Söhnen adliger Familien das Alpahbet beibrachte. Er und Soemmerring waren offenbar auch Freimaurer- und Rosenkreuzerlogen beigetreten, aus letzteren zwar wieder ausgetreten, aber nun in ungeheurer Furcht vor der Rache der Rosenkreuzer, deren Macht und Einfluss die beiden offenbar immens überschätzten. Forster nimmt einen Ruf an die Universität Wilna an. Auf der Reise dorthin macht er ein paar Umwege, und man sieht aus seinen Briefen, wie sehr er Städte wie Leipzig, Dresden oder Wien schätzt, wo der gesellige Verkehr ihn zwar oft auch ermüdet oder langweilt – aber immerhin vorhanden ist. Ganz anders Wilna, wo er nicht nur unter den äusseren (v.a. meteorologischen) Bedingungen leidet, nicht nur darunter, dass die bei seiner Berufung gemachten Versprechungen (z.B. für die Einrichtung eines botanischen Gartens) sich als warme Luft entpuppen, sondern vor allem darunter, dass mit seinen Professoren-Kollegen kein Gespräch möglich ist und der Postverkehr mit Deutschland sehr schlecht organisiert. Dazu kommen weitere Probleme ‚im Job‘: Vorlesungen zu halten, war nicht Sache eines Mannes, der sich die Dinge am liebsten im Dialog erarbeitete; Vorlesungen auf Latein zu halten, nicht Sache eines Autodidakten, der sich sein bisschen Latein mühsam aus dem Cicero zusammenklaubte.

Auf der endgültigen Rückreise dann, auf dem Weg nach Mainz, verbringt er einen seiner glücklichsten Abende in Weimar, in Gesellschaft von Wieland, Herder, Goethe und dem Herzog. (Es wird aus Forsters Briefen auch klar, wie viel er Herders Ideen zu einer Geschichte der Menschheit verdankt, und warum er sich verpflichtet fühlte, trotz mangelndem philosophischen Rüstzeug sich mit Kant über die Definition der ‚Rasse‘ anzulegen. – Mit Schiller sollte er später ebenfalls in Kontakt treten, aber der war für Forster vor allem der Herausgeber der Thalia. Ein persönliches Treffen kam – obwohl geplant – nie zustande.) Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach ist im ganzen Briefwechsel der einzige Mensch von Adel, über den Forster nie schlecht spricht, wenn wir Wilhelm von Humboldt ausnehmen. Interessanterweise war Forster mit dem ältern Humboldt enger befreundet als mit dem jüngeren, obwohl er bekanntlich seine Reise über Belgien, Holland nach England und Paris mit dem jüngeren  unternahm. Er hielt Alexander für zu schwächlich und kränklich, um als Forscher in die Welt hinauszugehen. (Es würde sich später zeigen, z.B. in Süd- und Mittelamerika, dass Alexander von Humboldt oft der einzige war seiner Reisegruppe, der nicht von einem Fieber, von Durchfall oder von Seekrankheit gepackt wurde!)

Forsters letzte Lebensphase, die er im französischen Exil verbrachte, ist fast nur noch mit Briefen an seine Frau Therese dokumentiert. Diese Ehe stand wohl von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Schon als Braut hatte sich Therese in Göttingen noch in einen andern verliebt, und dieses Verhältnis sogar bei der Rückkehr aus Wilna wieder aufgenommen. Bei Forsters Exil in Paris war es dann Ludwig Ferdinand Huber, ein rühriger Literat, der über Körner mit Schiller in Verbindung stand und in Frankreich die Werbetrommel für die deutsche Literatur rührte, den sich Therese als Tröster über ihre unglückliche Ehe auserkoren hatte. Wie oft beklagt sich Forster nicht bei seinem Schwiegervater über Therese… (Überhaupt war Forsters Verhältnis zum Göttinger Altphilologen Christian Gottlob Heyne bedeutend besser als das zu dessen Tochter – oder das zum eigenen Vater, quant à ça, das immer äusserst problematisch blieb.) Hier gilt vor allem, was ich schon im Einleitungsparagraphen gesagt habe: Ich hätte gerne alle Briefe aus dieser Zeit gelesen, auch die an Forster, auch die Originale so nahe wie möglich. Forster bettelt nachgerade darum, doch in der Nähe seiner Frau (und vor allem seiner Kinder! – die allerdings kaum alle die seinen waren…) bleiben zu dürfen, sogar einem ménage à trois würde er zustimmen – Therese beharrt auf Scheidung. Forsters Briefe sind allerdings nicht nur in dieser Zeit oft traurig gestimmt. Er hatte eine verschleppte Tropenkrankheit in sich, die ihn immer wieder mit Fieber, Brechdurchfall und Schmerzen quälte und sehr depressiv stimmte.

Und doch erfahren wir, dass er selbst in Paris, so oft es geht, in Gesellschaft ist. Er lernt u.a. einen andern Exilanten, Thomas Paine, kennen (dessen Schrift Rights of Man er bereits früher positiv rezensiert hatte) und Mary Wollstonecraft. Noch im letzten in meiner Auswahl publizierten Brief an Therese hofft er, seine Krankheit sei nur eine vorübergehende, und er werde wieder die Kraft finden zu literarischer Tätigkeit.

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