Winter ist der legitime und logische Nachfolger von Autumn – also eine weitere Anthologie mit jahreszeitbezogenen Texten der Folio Society, erschienen dieses Jahr in London. Erscheinungsort und -verlag erklären, warum die Mehrzahl der Texte von britischen bzw. US-amerikanischen Autoren stammt.
Man kann die enthaltenen Texte in 2×2 Kategorien einteilen. Längs (sozusagen) in Lyrik (schwergewichtig, wie bei allem, was die Natur und deren Impressionen auf den Menschen betrifft, natürlich die Romantik) und in Prosatexte. (Letztere wiederum kann man unterteilen in Extrakte aus Romanen und in Extrakte aus Reiseberichten und Tagebüchern.) Quer (sozusagen) in Texte, in denen der Winter positiv dargestellt wird, und in welche, die den Winter negativ schildern.
Es gibt verblüffend viele Texte über den Winter, und es gibt vor allem auch verblüffend viele britische Texte über den Winter – auch über schneereichen Winter. Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert herrschte offenbar in Grossbritannien eine Art kleine Eiszeit, die machte, dass Winter mit Schnee bedeutend häufiger vorkamen, als heute. Natürlich ist Weihnachten eines der zentralen Themen dieser Anthologie, und einer der berührendsten Texte ist die Schilderung eines deutschen Offiziers, wie sich britische und deutsche Soldaten zu Weihnachten 1914 aus ihren Gräben begaben, um zur Feier des Tages – gegeneinander Fussball zu spielen. Auch die schon in Autumn zu findenen Gartenbücher fehlen nicht, so wenig wie Shakespeares Hamlet oder das komische Wintergedicht aus Love’s Labour Lost.
Winter versammelt bekannte und unbekannte Autoren. Zu den bekannten gehören auf der Lyrikseite: Robert Frost, William Wordsworth, Thomas Hardy, Samuel Taylor Coleridge, Tennyson oder Swinburne. Aber selbst ein chinesischer Lyriker, dessen Name allerdings nicht auf uns gekommen ist, wird mit einem Gedicht aus dem 8. Jh. v.u.Z. zitiert.
Auf der Prosaseite finden wir Auszüge aus: Sei Shōnagons Kopfkissenbuch (tatsächlich eine sehr schöne, fast lyrisch zu nennende Schilderung eines japanischen Wintermorgens), ähnlich – aber kürzer – Dorothy Wordsworth mit einem Tagebuch-Auszug, Charlotte Brontës Jane Eyre (ein weniger schöner, aber von der Protagonistin wohl gerade deswegen sehr genossener Winternachmittag im Freien), George Eliots The Mill on the Floss, Dylan Thomas‘ A Child’s Christmas in Wales oder The Dead (einem Text aus Joyce‘ Dubliners). Dickens (der britische Weihnachtsgeschichtenerzähler) darf natürlich nicht fehlen und kommt sogar mehrmals vor. Der grosse ‚kontinentale‘ Erzähler von Weihnachts- und Wintergeschichten, Andersen, wird aus einem seiner Märchen zitiert. Auch nicht fehlen darf Thoreaus Walden. Walt Whitman figuriert für einmal unter den Prosaautoren und George Orwell für einmal nicht mit einer seiner Dystopien. Auch in Sir Gawain and the Green Knight, einer Erzählung aus dem Dunstkreise Artus‘, finden wir eine Winterszene. Napoleons hastiger Rückzug aus Moskau, wo er vom harten russischen Winter überrascht wurde, wird mehrmals thematisiert.
Daneben bei Lyrik wie bei Prosa viele weitere Autoren, die aufzuzählen kaum sinnvoll ist.
Im Grossen und Ganzen hat mich damals Autumn mehr überzeugt. Aber das mag auch daran liegen, dass mir allgemein der Herbst besser gefällt als der Winter. Und daran, dass mir allgemein Anthologien nicht so liegen. Je nun – ich habe auch Winter als Zugabe zu meiner Bestellung erhalten. Und einem geschenkten Gaul … aber das schenke ich mir.