Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

Dieses allseits hochgelobte Buch hat nur sehr eingeschränkt mein Gefallen gefunden: Die etwas selbstherrliche Beschreibung, die da vermeint, Weisheiten zu erkennen, die sämtlichen anderen Historikern oder Prozessbeobachtern entgangen seien, hat mir die Lektüre immer wieder vermiest.

Das zeigt sich etwa in der im Prozess immer wieder auftauchenden Problematik der Zusammenarbeit von Judenräten mit den Nazis oder den Versuchen Rudolf Kastners, gegen Entgelt einigen tausend ungarischen Juden die Emigration in die Schweiz zu ermöglichen. Arendt glaubt in diesem Zusammenhang ein Phänomen zu entdecken, das allen anderen bislang entgangen war: „Moralisch war dies Akzeptieren von privilegierten Kategorien deshalb so verhängnisvoll, weil jeder, der für seinen Fall eine ‚Ausnahme‘ beanspruchte, damit indirekt die Regel anerkannte, doch offenbar hat keiner von denen, die, ob Juden oder Nichtjuden, zweifellos das Beste wollten, wenn sie sich für ‚Sonderfälle‘ einsetzten, bei denen die Bitte um Vorzugsbehandlung zulässig war, dies jemals begriffen.“ (S. 227, meine Hervorhebung) Nun kann man die Welt durchaus für dämlich halten, man sollte allerdings achtgeben, dass dies nicht auf einen selbst zurückfällt. Ich glaube nicht, dass die indirekte Anerkennung der Vorgehensweise der Nazis durch diese Kooperation den Menschen entgangen ist (gerade von Rudolf Kastner gibt es Dokumente, in der er sich zu genau dieser Problematik äußert), sie wurde hingegen durch die Machtverhältnisse den Verhandelnden teilweise aufgezwungen. Außerdem stellte sich sowohl für Judenräte als auch Verhandler die Angelegenheit nicht von einem legalistischen Standpunkt, sondern wurde einzig durch die Hoffnung bestimmt, möglichst vielen ein Überleben zu sichern (wenn sich auch nachträglich gerade die Kooperation der Judenräte als verhängnisvoll herausgestellt hat). Allerdings ist eine solche Beurteilung aus der Distanz sehr viel leichter denn in der prekären Situation, in der sich die Juden im gesamten deutschen Einflussgebiet befanden.

Die indirekte Anerkennung des Unrechtsregimes durch die Zusammenarbeit war der jüdischen Bevölkerung im übrigen schon sehr viel früher bewusst: Als die Nürnberger Gesetze 1935 in Kraft traten, waren – trotz der Tatsache, dass Juden dort als Menschen zweiter oder dritter Klasse angesehen wurden – die meisten Betroffenen über die wenigstens teilweise nun gewährte Rechtssicherheit froh (man war der Ansicht, dass man „unter jedem Gesetz leben könne, wenn es denn nur Gültigkeit hätte“, einzig Gesetzlosigkeit wäre eine Gefahr). Dies ist auch vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte verständlich, die über die Jahrhunderte zahllose Sondergesetzgebungen für ihre Gruppe erlebten (und ertrugen). Jedenfalls hat es nicht einer Frau Arendt bedurft, um diese prekäre sozial-juristische Sache den Betreffenden klar zu machen.

Unangenehm wirkt auch die Darstellung des Lebenslaufes des Angeklagten durch die Autorin: Eichmann mag weder besonders intelligent noch ein besonders sympathischer Charakter gewesen sein, sein Leben nahm allerdings einen weitgehend „normalen“ Verlauf und hätte, wären die Umstände andere gewesen, kaum Anlass gegeben, in die Geschichtsbücher aufgenommen zu werden. Arendt hingegen meint schon in der abgebrochenen Schulausbildung, in seiner weiteren Berufskarriere (er beschwert sich etwa über die Langeweile in seiner Arbeit als Vertreter), in seinen mangelnden intellektuellen (bzw. sprachlichen) Fähigkeiten ein zukünftiges, administratives Monster mit äußerst fragwürdigem Charakter zu sehen, während das tatsächliche Leben Eichmanns lange Zeit für eine solche Vermutung keinen Anlass gibt. Er war ehrgeizig, hat seine abgebrochene Schulbildung verschwiegen, war von durchschnittlichen Geistesgaben und kein Individualist: Nach eigenen Angaben hat er sich immer in fest organisierten Gruppen am wohlsten gefühlt. Das alles aber ist nichts Besonderes oder gar Verachtenswertes – und dass aus Eichmann ein gesuchter Massenmörder wurde, war wohl mehr oder weniger Zufall: Wäre er als Logenbruder akzeptiert worden, hätte sich der Eintritt in die SS von selbst verboten (und eine entsprechende Karriere in der NS-Zeit wäre unmöglich geworden). Arendts gesamte Darstellung von Eichmanns Leben wirkt abfällig auch dort, wo noch kein Grund dazu besteht und ist getragen von einer bornierten, intellektuell-arroganten Attitüde, indem sie immer wieder auf die bescheidenen geistigen Fähigkeiten des Angeklagten hinweist.

Gerade dies aber wäre sehr viel eher ein Entschuldigungsgrund: Eichmann war eben nicht besonders intelligent (allerdings intelligent genug, um sein verbrecherisches Tun zu erkennen), er war weitgehend von seiner Umgebung abhängig und imstande, seine natürlichen Regungen dieser seiner Umwelt anzupassen. Typisch dafür ist seine Erleichterung nach der Wannsee-Konferenz: Nachdem dort sehr viele honorige Beamte an der besprochenen „Endlösung“ nichts zu beanstanden fanden, war er äußerst erleichtert (er hatte zuvor einige Konzentrationslager besucht und zeigte sich anfangs erschüttert über die Vorgänge): Die Reaktion der anderen erleichterten ihm die Ausschaltung seines eigenen Gewissens enorm. Arendt aber konzentriert sich einzig auf den verächtlichen Befehlsempfänger, der banal und beschränkt in seiner Arbeit aufgeht. Diese explizite Darstellung der charakterlichen Defizite ist aber – wie in jedem Buch – eher ein Ärgernis: Ein Mensch wird durch die umfassende Schilderung seines Tuns, seines gesamten Verhaltens zu einem verächtlichen, vielleicht auch dummen Menschen, nicht aber dadurch, dass ich diese Attribute ein über’s andere Mal betone.

Wirklich gelungen ist hingegen die Analyse der floskelhaften Sprache Eichmanns (die eben seinen Charakter sehr viel besser hervortreten lässt als alles andere): Er gehört zu den Menschen, die sich ständig und überall nur in Plattitüden ergehen, die für alles ein Motto besitzen, ein Sprichwort, die alle ihre sprachlichen Reaktionen aus einem Überangebot an Klischees beziehen. Und die sich dessen gar nicht bewusst sind, dass der Gebrauch dieser sprachlichen Versatzstücke sie immer wieder in Widersprüche verstrickt, Widersprüche, die von ihnen als solche gar nicht erkannt werden (aufschlussreich und empfehlenswert in diesem Zusammenhang sind die „Eichmann-Protokolle“). Hier wird die Oberflächlichkeit, die Banalität des Menschen (und des Typus) Eichmann sehr viel besser deutlich als durch die zahlreichen pejorativen Bezeichnungen.

Unangenehm auch der Schluss des Buches: Während Arendt – zu Recht – dem Staatsanwalt Hausner unerträgliches Pathos in seinen Anschuldigungen vorwirft (das in einem Prozess und für den Ankläger völlig unangebracht ist), verfällt sie selbst in ihrer Verteidigung des Todesurteils in einen vergleichbaren Tonfall. So richtet sie am Ende in einer fiktiven Begründung des Urteils das Wort direkt an den Angeklagten: „Keinem Angehörigen des Menschengeschlechtes kann zugemutet werden, mit denen, die solches wollen [die Erde nicht mit bestimmten Volksgruppen zu teilen und sich das Recht herauszunehmen, über diese zu bestimmen bzw. diese zu vernichten] und in die Tat umsetzen, die Erde zusammen zu bewohnen. Dies ist der Grund, der einzige Grund, daß Sie sterben müssen.“ Das ist ein ebenso pathetischer, salbungsvoller Tonfall wie der des Staatsanwaltes – und es ist nach meinem Dafürhalten auch grundfalsch. Ich hätte -von meiner prinzipiellen Ablehnung der Todesstrafe abgesehen – lebenslängliche Haftstrafen auch im Falle der Nürnberger Prozesse für sehr viel sinnvoller gehalten: Vielleicht hätten einige doch begriffen (und dem auch Ausdruck verleihen können), welche Ungeheuerlichkeiten sie mit ihrer Politik verfolgt haben.

Insgesamt ist das Buch – von einzelnen Passagen abgesehen – keineswegs etwas Besonderes: Die langen historischen Passagen werden in anderen Büchern besser und genauer dargestellt (wobei Arendt auch einige Fehler unterlaufen, auf die teilweise durch Fußnoten hingewiesen wird; sie gibt auch das – falsche – Gerücht wieder, dass Heydrich Halbjude gewesen sei, was zwar an und für sich völlig belanglos ist, dann aber problematisch wird, wenn aufgrund dieser „Tatsache“ Folgerungen aufgestellt werden), die juristischen oder philosophischen Bewertungen sind ebenfalls wenig originell: Sodass die teilweise euphorischen Besprechungen zu diesem Buch unverständlich erscheinen. (In Deutschland dürfte man auch schlicht nicht den Mut besessen haben, das Buch einer Jüdin über den Holocaust zu kritisieren.)


Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München: Piper 2006.

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