5!

Heute vor 5 Jahren erschienen die ersten Aperçus in unserm Blog. Am Anfang noch zögerlich, haben wir seit einem Jahr oder zwei inhaltlich wie formal unser Erscheinungsbild kaum noch geändert. Wir veröffentlichen unsere Aperçus unterdessen in schöner Regelmässigkeit. Bis heute sind es deren nicht ganz 900 – das heisst, auf 5 Jahre verteilt, dass praktisch jeden zweiten Tag eines auf diese Seite gestellt wird.

Während wir uns in den letzten Jahren kaum mehr verändert haben, und aktuell auch keinen Grund dafür sehen, hat sich die ‚Szene‘ rund um uns stark geändert. Wenigstens will es mir so scheinen; vielleicht bin ich auch nur auf gewisse Dinge aufmerksamer geworden.

Vor fünf Jahren waren irgendwie noch alle Amateure. Will sagen: Man bloggte, wann man Lust hatte und worauf man Lust hatte. Ein paar waren aktiver, ein paar weniger, ein paar verschwanden rasch wieder. Blogger und Bloggerinnen waren auch Amateure in dem Sinn, dass weder Verlage noch das Feuilleton uns so richtig wahrnahmen. Ungefähr vor zwei Jahren hat das radikal geändert. Für die Verlage gelten wir nun als ‚Influencer‘; für das Feuilleton sind wir dadurch zum Feindbild Nr. 1 geworden.

‚Influencer‘: Das klingt nicht nur wie eine Seuche – das ist auch eine. Mit der Entdeckung der Seuche ‚Literarurblog‘ hat sich nicht nur die Einstellung von Verlagen und Veranstaltern literarischer Ereignisse geändert (darauf komme ich gleich). Der Haufen Amateure, wo jeder jeden kannte, jeder dem andern gleich gestellt war, ist in den Sog der kapitalistischen Marktwirtschaft geraten. Man sucht nach mehr Reichweite und mehr Klicks wie die Grosskonzerne nach Gewinnoptimierung haschen. Und wie in der kapitalistischen Marktwirtschaft Berater (neudeutsch: Consultants) den Firmen erklären, was sie zu tun hätten, um den Gewinn zu optimieren, mutieren einige der einstigen Literaturblogs nun zu Metablogs, die uns Bloggern und Bloggerinnen erklären möchten, wie wir zu bloggen hätten: Begriffe wie Redaktionsplan, SEO und weitere Schlagworte machen bei den unbedarften Amateuren von einst die Runde. Diese Metablogs werden von wahrscheinlich 95% der Blogs nicht nur akzeptiert; man verschlingt deren Ratschläge auch dankbar. Alles wie bei den Grosskonzernen. Erste Literaturblogs träumen bereits davon, mit ihren Elaboraten Geld in grösserem Stil zu verdienen. (Es gibt übrigens nur einen Trick, mit dem ein Blog gross wird: Networking – um einen weiteren neudeutschen Management-Begriff zu verwenden. Und zwar nicht virtuelles Networking wie Verlinkung und Blogrolls, sondern ganz knallhartes, physisches. Will sagen: Präsenz bei allen Grossereignissen – und ein paar kleineren – und Organisation eigener Events, innerhalb oder ausserhalb der Grossereignisse.)

Die literarischen Events haben unterdessen, wie oben gesagt, die Literaturblogger und -bloggerinnen ebenfalls entdeckt. Wir erhalten Rezensionsexemplare wie irgendeine Feuilletonredaktion. Bei den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig sind die Blogs dem Feuilleton gleichgestellt. Ja, man sucht sich für spezielle Ereignisse eine Art Sonderberichterstatter unter ihnen aus. Natürlich, den Gesetzen des kapitalistischen Markts folgend, unter den grossen Blogs. Die dadurch, den Gesetzen des kapitalistischen Markts folgend, noch grösser werden. Das ist soweit ok, stimmt mich aber misstrauisch, wenn ich sehe, dass eine Veranstaltung wie „Zürich liest ’16“ Blogger und Bloggerinnen aus Deutschland an Bord holt, die für sie über den Event schreiben. Misstrauisch, weil ich weder auf der Seite von „Zürich liest“ noch bei den eingeladenen Blogs auf die Schnelle herausfinden konnte, wer denn nun für Reise und Unterkunft der Deutschen zahlt. Zeitungen und das Privatfernsehen kennen die Pflicht, gewisse Beiträge als ‚Sponsored Content‘ bzw. ‚Dauerwerbesendung‘ zu kennzeichnen. Blogs nicht.

Für Veranstalter sind solche sich zur Verfügung stellenden Blogs natürlich Gold wert. Man spart sich eine Person in der Marketing-Abteilung, die selber Teaser für Twitter und Facebook ausdenken müsste, und retweetet einfach Blog-Tweets, in denen die unsere Kollegen und Kolleginnen brav posten, wann sie wo zu sein gedenken. (Ich hoffe für diese Kollegen und Kolleginnen, dass ihr Job tatsächlich anständig bezahlt wird. – Allerdings müsste der eine oder die andere noch ein bisschen Nachhilfe in Geografie nehmen: Der Zürichsee, auf den man sich freut, liegt keineswegs mitten in Zürich. Dafür ist der See nicht klein, bzw. Zürich nicht gross genug.)

Die Retweetomanie grassiert auch sonst bei Verlagen. Ein Tweet mit dem Text „Wunderbares Buch! Ich habe es verschlungen! @sowiesoverlag“ wird spätestens am nächsten Tag vom sowiesoverlag retweetet. Eigentlich erwartete ich früher einmal vom Tweet-Account eines Verlags Hinweise auf Neuerscheinungen, auf Lesungen auch. Tweets nochmals vorgesetzt zu bekommen, die ich am Vortag schon im Original gelesen habe, scheint mir keine Meisterleistung einer Marketing-Abteilung zu sein.

Zusammengefasst: Mir will scheinen, dass die ‚Grass-Root‘-Bewegung ‚Literaturblog‘ vom Kommerz verschlungen wird, ohne dass sich alle Blogs dessen bewusst sind. Die Blogs werden – freiwillig! – zum verlängerten und dazu noch kostenlosen Arm des Verlagsmarketings. Man kann als Professionalisierung der Blogs loben, was im Grunde genommen deren Instrumentalisierung ist; aber selbst dann ist es meist eine „Professionalisierung“, ohne dass ein Profi mit einem professionellen Gewissen hinter dem Blog stünde. Klein-Maxi, der früher seine Freude über diesen oder jenen Roman enthusiatisch und voller Rechtschreibefehler äusserte, ist erwachsen geworden. Er klingt immer noch enthusiastisch, und die Rechtschreibefehler sind immer noch vorhanden; aber bei mir wird die Frage laut, wie stark dieser Enthusismus unterdessen ein gekaufter ist. Die Seuche ‚Influencer‘ bereitet sich vor, die Blogger-Szene radikal zu verändern.

Wir für unsern Teil fahren weiter wie bisher.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 0

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