Daniel C. Dennett: Philosophie des menschlichen Bewußtseins

Dennett gehört zu meinen absoluten Lieblingsautoren: Während man bei vielen, den meisten Philosophen mit viel Gerede konfrontiert wird, mit einer Denkweise, die Konsequenz und Genauigkeit vermissen lassen, kann man sich bei ihm sicher sein, dass sich in jedem Kapitel, auf jeder Seite geistreiche verbergen. Und er schreckt keineswegs vor wenig populären Ansichten zurück, bringt etwa – und das ist das Thema des vorliegenden Buches – die Geist-Körper-Problematik in bestechender Weise auf den Punkt.

Dennett verwehrt sich besonders gegen das von ihm sogenannte cartesianische Theater: Dass es da irgendwo in unserem Gehirn eine Art Homunculus gäbe, der steuernd und dirigierend eingreife und so für das Ich-Bewusstsein verantwortlich zeichne. Eine solche oberste Kontrollinstanz ist eine Fiktion – und wer sich selbst einer peniblen Introspektion unterzieht, kann das unschwer feststellen. Das Gehirn ist der Ort, an dem verschiedene Regionen, Impulse um Aufmerksamkeit konkurrieren, Anregungszustände kommen uns je nach Wichtigkeit zu „Bewusstsein“ oder aber vermögen diese Schwelle nicht zu überschreiten. Deshalb ist auch die von Dennett als Heterophänomenologie bezeichnete Methode von größter Wichtigkeit: Wir können als wissenschaftliche Beobachter unter Umständen mehr über die Zustände eines Menschen erfahren als er selbst (da viel Erfahrenes, Gesehenes als nur bedingt wichtig eingestuft wird und die genannte Schwelle nicht zu überschreiten vermag). Dennett verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Experimente, die zeigen, dass unser „Bewusstsein“ nicht die letzte Instanz ist, um über unsere eigenen Zustände zu befinden (so behaupten Versuchspersonen, bestimmte Reize definitiv nicht wahrgenommen zu haben, obschon sie nachweislich darauf reagieren).

Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da wir in vieler Hinsicht als „Blackbox“ funktionieren: Wir beherrschen das Zusammenspiel von hochkomplizierten Dingen (allein der Sprung über einen Abgrund oder der gezielte Wurf eines Gegenstandes erfordert einen ungeheuer komplizierten Abgleich an Daten, Gewicht des Gegenstandes, Erfahrung bezüglich der Schwerkraft, Koordination zahlreicher Muskeln, Abschätzen von Entfernungen etc.), ohne uns Rechenschaft darüber ablegen zu können, wie wir diese Dinge zustandebringen. Im Gegenteil: Das Nichtwissen ist Voraussetzung dieses Tuns; eine Kontrollinstanz, die sämtliche Daten zur Berechnung ins Bewusstsein holen müsste, wäre hoffnungslos überfordert. Und so sind auch die meisten unserer Gehirnaktivitäten „unbewusst“, wir funktionieren über weite Strecken ohne uns über dieses Funktionieren Gedanken zu machen, weil dafür schlicht keine Notwendigkeit besteht. Die zahlreichen Facetten der Außenwelt bleiben unbemerkt und nur unter bestimmten Umständen erhält ein Reiz Priorität, wird behandelt, an andere Regionen weitergeleitet, wobei durch zahlreiche Rückkoppelungen die Wichtigkeit des Wahrgenommenen einzuschätzen versucht wird. Vor allem aber gibt es keine Zentralstelle, die autokratische Entscheidungen trifft, das Ich ist vielmehr dieses fluktuierende Aktivitätsmuster der Gehirnregionen, in denen einzelnes auftaucht und wieder verschwindet.

Dennett ist auch einer der wenigen, der den Dualismus durch den Hinweis auf die Evolution ad absurdum führt: Da man Urzellen üblicherweise geistige oder seelische Attribute abspricht (den Menschen als „Krone“ der Schöpfung hingegen sich damit ausgestattet denkt), müsste es irgendwann das Wunder einer Geisterscheinung gegeben haben. Ansonsten kommen wir zu der einfachen (und von Geistfetischisten als unzumutbar betrachteteten) Überlegung, dass die zunehmend komplexe Organisation des Zentralorgans der Lebewesen sukzessive das hervorgebracht hat, was wir Geist zu nennen pflegen (und zumeist auf den Homo sapiens beschränkt wissen wollen). Unter evolutionärer Perspektive aber gibt es ein klein wenig Geist oder ein bisschen mehr – und es gibt ihn nur in Abhängigkeit jener komplizierten Struktur, die wir Gehirn nennen. Auch wenn dies „primitiver“ Materialismus sein sollte: Er liefert eine nachvollziehbare Erklärung für das Denken. Solange Geistiges und Seelisches nicht von der Materie unabhängig wahrgenommen wird (und hier stellt sich die grundsätzliche Frage, wie wir Immaterielles überhaupt wahrnehmen könnten), sollten wir die Verbindung Gehirn-Geist nicht kappen, uns mit dieser Erklärung zufrieden geben und auf phantastische Metaphysik Verzicht leisten.

Das Faszinierende an Dennetts Büchern sind seine geistreichen Analogien, die zu einem Gutteil auf seiner umfassenden naturwissenschaftlichen Bildung fußen. Oder er zieht Beispiele aus der KI heran, um Vorgänge zu erklären: Etwa wenn er die höheren Programmiersprachen mit unserer Sprache vergleicht, die das ausdrückt, was auf einer anderen, fundamentaleren Ebene bereits vorformuliert wurde. Oder wenn er das Konzept Rosenthals vorstellt, dass die Sprache manchmal ein basales Denken begleitet und – eventuell – ins Bewusstsein holt, wobei selbst das Denken zweiter, dritter oder höherer Ordnung (ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass du denkst … oder ich denke, dass ich glaube, dass ich fühle …) unbewusst sein kann. Bewusstseinszustände werden von geeigneten Gedanken höherer Ordnung begleitet; ein Charakteristikum des Bewusstseins scheint darin zu bestehen, dass es seinen Zustand (potentiell) ausdrücken möchte (und damit versprachlicht). So können auch unsere Metameinungen nicht als Meinungen über etwas anderes betrachtet werden, sondern entstehen erst im Prozess einer sukzessiven Versprachlichung; im Sprechen selbst werden wir uns dieser Dinge „bewusst“.

Man muss diesen Überlegungen nicht immer zustimmen: Aber man kann dem Esprit und der Intelligenz, mit der diese Gedanken vorgebracht werden, seine Anerkennung nicht versagen. Wie oben erwähnt: All das ist es immer wert, genau durchdacht, ein zweites Mal gelesen zu werden, denn es findet sich stets etwas Geistreiches und Überraschendes in diesen Annahmen. Das macht das Lesen von Dennetts Büchern zu einem so außerordentlichen Vergnügen, es ist philosophische Unterhaltung auf höchstem Niveau. Zu der auch die immer wieder aufblitzende Ironie, der Sarkasmus beitragen. Wobei das vorliegende Buch – schon aufgrund des Umfangs – nicht jene Stringenz in der Argumentation aufweist, die in anderen Büchern (etwa hier) zum Ausdruck kommt. Trotzdem mehr als nur empfehlenswert (ich selbst war versucht, das Buch nach Abschluss sofort noch einmal zu lesen: Ein größeres Lob ist kaum denkbar).


Daniel C. Dennett: Philosophie des menschlichen Bewußtseins. Hamburg: Hoffmann und Campe 1994.

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