Daniel C. Dennett: Den Bann brechen

Titel und Untertitel des Buches verraten das Programm: Dennett möchte die Religion von ihrem Nimbus des Unberührbaren befreien, er möchte sie als wissenschaftlich zu untersuchendes Phänomen ins Auge fassen, sie analysieren, ihre Auswirkungen prüfen und damit sowohl Genese als auch Zukunftsperspektiven offenlegen.

In der Einleitung weist der Autor darauf hin, dass dies ein Buch für den us-amerikanischen Markt ist. Tatsächlich ist diese Absicht unverkennbar und sie bildet für den europäischen Leser den einzigen Kritikpunkt: So wird die Frage, ob man Religion wissenschaftlich untersuchen kann (bzw. darf), über viele Seiten hinweg behandelt, was zumindest dem Westeuropäer ein wenig seltsam erscheint. Obschon natürlich auch bei uns die allseits bekannte Beißhemmung gegenüber den christlichen Kirchen zu beobachten ist: Das Bekenntnis zu Gott gilt als etwas Heiliges, dem man auf rationalistische Weise nicht zu nahe treten darf, wie dämlich (oder verderblich) die vertretenen Ansichten auch immer sein mögen. Trotzdem ist man hierzulande aufgeschlossener und für die allermeisten (die Polen ausgenommen) wäre ein ungläubiger Präsident keine Unmöglichkeit. (In Österreich war die Konfessionslosigkeit des derzeitigen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen nur ein Randthema und für die Wahlentscheidung kaum relevant.)

So also rennt Dennett bei seinen europäischen Lesern häufig offene Türen ein. Religionskritik ist zwar – wie erwähnt – nicht wirklich gerne gesehen und gilt als „irgendwie unanständig“, sie ist aber bei weitem nicht in jenem Maße verpönt wie in den USA. Einen Bann gilt es hier nicht oder in sehr viel bescheideneren Ausmaßen zu brechen. Grosso modo aber sind die Ausführungen Dennetts natürlich auch bei uns gültig: Die Bedeutung der Wissenschaft als eines zahlreichen Prüfungen ausgesetzten Instrumentariums, das als Grundlage für weitreichende sozialpolitische Entscheidungen dient. Wer sich – wie die Religion – durch Immunisierungsstrategien der rationalen Diskussion entzieht, muss im Gegenzug akzeptieren, dass sie nicht ernst genommen bzw. in Entscheidungsprozesse nicht eingebunden wird.

Den Hauptansatzpunkt für die wissenschaftliche Aufarbeitung religiöser „Meme“ sieht Dennett in der Evolutionstheorie. Welche – das Überleben fördernde – Funktion hat(te) Religion in der Entwicklung des Homo sapiens und welche Konsequenzen sind für uns heute aus dieser Religionsgeschichte zu ziehen? Diese evolutionsgeschichtliche Betrachtung bietet für den mit der Materie vertrauten Leser nicht wirklich viel Neues (was aber die Richtigkeit der Ausführungen natürlich nicht tangiert): Es ist die offenkundig für das Überleben sinnvolle Frage nach dem „Warum“ des Naturgeschehens, das in vorwissenschaftlicher Zeit mit dem Hinweis auf einen „Akteur“ beantwortet wurde. Diese intentionale, animistische Natursicht betrachtete die Umgebung als belebt, von Absichten durchdrungen – und so wurde vor allem den für das Überleben wichtigen Ereignissen ein Urheber unterstellt (den man, um die eigene Machtlosigkeit zu kaschieren, mit Geschenken oder Bitten zu beeinflussen versuchte). Die evolutionäre Kostspieligkeit des Verfahrens wurde kompensiert durch positve Grundhaltungen (etwa auch in medizinischen Belangen), die den Menschen nicht mehr als einflussloses und passives Opfer einer kalten Umwelt erscheinen ließ.

Dazu kommt die menschliche Neigung zur Gruppenbildung, die in überlebenstechnischer Hinsicht immer wichtiger wurde. Religionen haben sich dieses Bedürfnisses schon immer bedient und andere für das Überleben wichtige Strategien (wie Treue, Opferbereitschaft, Gemeinschaftsgefühl) in ihre kultischen Aktivitäten integriert. Besondere Bedeutung legt Dennett auf eine spätere Entwicklung in den religiösen Gesellschaften, auf den „Glauben an den Glauben“. Dieser „Glaube an den Glauben“ wird als sozial so wichtig erachtet, dass eine Kritik per se verboten ist: Das Risiko einer Widerlegung wäre katastrophal für die betreffende Gesellschaft. Dadurch wird auch die Frage nach der tatsächlichen Existenz Gottes zweitrangig: Der Glaube als gesellschaftlicher Kitt ist ungleich wichtiger als der Gottesbeweis.

Dann wird die Religion in ihren Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft analysiert. Dennett bemüht sich um Objektivität und versucht die positiven Seiten religiösen Lebens nicht zu verschweigen: Allerdings ist ein Phänomen, das sich einer rationalen Diskussion unter verschiedenen Ausreden zu entziehen versucht, mit großer Vorsicht zu betrachten. Vor allem ist die Religion eines nicht: Grundlage der Moral. Es handelt sich bei allen religiösen Kodizes immer nur um Stammesethik, nie um Prinzipien, die für die gesamte Menschheit gültig wären. So ist gerade in ethischer Hinsicht die Religion häufig das Feigenblatt für Verbrechen aller Art, man beruft sich auf Auserwähltheit (wie auch nationalistische Ideologien), auf einen privilegierten Zugang zu Gott oder auf seine Orthodoxie, um im Schatten großer Wörter alle vorstellbaren Gräueltaten zu begehen. Die mit dem Glauben verbundene Heteronomie entbindet den Einzelnen von seiner Verantwortung und führt gerade dadurch zu moralisch zweifelhaftem Verhalten. (Steven Weinberg brachte es auf den Punkt: Gute Menschen tun Gutes, schlechte Menschen tun Schlechtes; aber damit gute Menschen schlechte Dinge tun – braucht man die Religion.)

Als Mittel empfiehlt Dennett Aufklärung und eine verantwortungsvolle Erziehung der Kinder (das klingt hilflos – und ist es wohl auch – aber es gibt wohl keine Alternativen zu diesen Vorschlägen). Eine solche Aufklärung anzustoßen ist sicher Aufgabe der Wissenschaft, noch viel mehr Aufgabe eines kritischen, rationalen Diskurses, der als Grundlage für alle Auseinandersetzungen dient. Wobei den Kinder bzw. ihrer Erziehung die größte Aufmerksamkeit zu widmen ist. Schon Dawkins hat auf die Perversität hingewiesen, dass man ganz selbstverständlich von protestanischen, katholischen oder muslimischen Kindern spricht, während es – mit Recht – anstößig wäre, von sozialistischen, faschistischen oder kommunistischen Kindern zu sprechen. Diese Selbstverständlichkeit der Indoktrination in Frage zu stellen wäre eine enorm wichtige Aufgabe; der kritische und nachdenkliche Staatsbürger muss die Freiheit des Denkens, des Entscheidens schon im Kindesalter kennenlernen. – Dass Dennett ein bestechender Denker und begabter Autor ist, habe ich schon einige Male erwähnt (hier, hier und hier): In diesem Buch wird man manchmal mit Längen konfrontiert, die – wie von ihm selbst angegeben – dem us-amerikanischen Markt geschuldet sind. Trotzdem ein sehr lesenswertes und wichtiges Buch (erwähnenswert auch der Anhang, der eine konzise und verständliche Beschreibung des Mem-Konzeptes bietet).


Daniel C. Dennett: Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2016.

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