Hans Heinz Holz: Dialektik. Problemgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Band III: Einheit und Widerspruch I. Die Signatur der Neuzeit

Holla! Nun aber! Jetzt will er’s wissen! – Das waren so die ersten Gedanken, die durch meinen Kopf schossen, nachdem ich das einleitende Kapitel Dialektik – was ist das überhaupt? gelesen hatte.

Aber der Reihe nach:

Die Bände III bis V von Holz‘ Problemgeschichte der Dialektik sind bereits 1997 bei Metzler als eigenständige Produktion unter dem Titel Einheit und Widerspruch erschienen. Das erklärt den etwas sperrigen Untertitel von Band III. Die zeitliche Differenz zwischen der Entstehung von Band II und Band III erklärt wohl auch, warum Holz in Band II das Mittelalter bis zu Descartes dauern lassen will; hier in Band III aber die Neuzeit dennoch mit der Übergangszeit der Renaissance anheben lässt. Vorgängig aber die schon erwähnte Einleitung.

In dieser Einleitung argumentierte Holz in klassischer marxistischer Weise, wie es noch in den 1960er oder 1970ern Usus war. Nach einer Definition der Dialektik als höhere vernünftige Bewegung (Hegel) – gegen Schleiermachers platonisierende Definition der Darlegung der Grundsätze für eine kunstmäßige Gesprächsführung – geht er über zur materialistischen Dialektik als der dieser Methode [der Dialektik] entsprechende und sie legitimierende Realverfassung der Wirklichkeit. Dialektik also nicht als eine Form der Logik sondern als Ontologie. Für den Übergang von Hegels idealistischer Dialektik zur materialistischen Dialektik halten dann nicht nur Marx und Engels als Kronzeugen her, auch Feuerbach, und von den späteren natürlich Lenin. Ja, sogar Stalin wird als Philosoph zitiert. Die geballte Ladung also. Offen gesagt: Wenn der ganze Band III so geschrieben gewesen wäre, hätte ich abgebrochen.

Sobald Holz aber in den eigentlichen geschichtlichen Rahmen eintritt, bessert es. Auch wenn er sich bei der Beschreibung immer wieder auf Hegel bezieht, auch wenn er vorsatzgemäss dialektische Bewegungen sucht, so ist Holz‘ Werk auch in Band III zwischendurch immer wieder lesbare Philosophiegeschichte mit anregenden (und nicht allzu marxistisch-dialektischen!) Interpretationen.

Sie setzt ein mit der Renaissance, die Holz ganz klassisch als Entdeckung des eigenen Ich interpretiert. Während Dante noch im Mittelalter gefangen war, konnte sich Petrarca als einer der ersten davon befreien. Den Menschen, der als Mikrokosmos den Makrokosmos ‚Welt‘ spiegelt und so als erkenntnisetheoretisches Muster hinhalten kann, findet Holz vor allem in der italienischen Renaissance, bei Pico della Mirandola, bei Ficino, bei Campanella. Und, da Holz als Marxist auch die real existierenden Aussenbedingungen zur Kenntnis nimmt, bindet er die Philosophie der Renaissance in den Kontext der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens im heutigen Sinn ein, wo dann Galilei einen wichtigen Meilenstein darstellt, dem Holz ein eigenes Kapitel widmet. Nun – man kann in der Diskrepanz zwischen ontologischer und einsetzender mathematischer Interpretation der Wirklichkeit ein dialektisches Spannungsfeld sehen, man muss aber nicht.

Die Geometrisierung der Welt erreicht dann einen ersten Höhepunkt bei Descartes. Und mit ihr – gemäss Holz – eben der Widerspruch zwischen mathematisch-geometrisch erfasster Welt und deren Hintergrund, den Descartes mit seinem Gottesbeweis gesichert zu haben glaubte. Es ging um nicht mehr und nicht minder als den Zusammenhang von Geist und Materie, Gott und der Welt. Holz bespricht zuerst ganz kurz die Okkasionalisten, an deren Spitze Malebranche steht. Thomas Hobbes seinerseits löste die Descartes’sche Aporie, indem er Gott gänzlich aus der Philosophie verbannte (was nun natürlich keine dialektische Lösung ist, weshalb der dialektische Materialist Holz dem Engländer Hobbes etwas zwiespältig gegenüber steht: einerseits den Materialisten schätzend, andererseits den Nicht-Dialektiker nicht akzeptierend). Zum Schluss dieses Teils schliesslich Spinoza, der die Spannung in eine Gleichsetzung von Gott und der Welt auflöste. Was gemäss Holz zwar zeigt, dass er sich der dialektischen Spannung bewusst war, sie aber nicht dialektisch aufzulösen vermochte.

Der letzte in Band III besprochene Philosoph ist dannn Leibniz. Leibniz, der Katholiken und Protestanten wieder unter dem Dach eines gemeinsamen Bekenntnisses vereinigen wollte und deshalb in regem Briefaustausch u.a. mit dem führenden katholischen Philosophen Arnaud stand. In diesen Briefen versuchte Leibniz (ganz vorsichtig, denn er wollte einen der Worführer der katholischen Seite ja nicht vergraulen!) seine eigene Metaphysik darzustellen, die dann schliesslich in der Monadologie gipfelte, wo Leibniz in der Monade die Rationalität des Faktischen in der Faktizität des Rationalen fest zu machen versuchte.

Ein vor allem in der Leibniz-Interpretation sehr interessanter Band III – wenn man sich von der Einleitung nicht abschrecken lässt. Es ist Holz zu Gute zu halten, dass er „seine“ Philosophen ernst nimmt. Man kann und muss ja nicht mit jeder seiner Ausführungen einverstanden sein.

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