Dieser Band schliesst Hans Heinz Holz‘ monumentale Geschichte der Dialektik ab. Es fehlten bisher noch die Grossen der Dialektik: Hegel und Marx. Diese nehmen denn nun einen grossen Teil des letzten Bandes ein.
Mit dem ausgereiften Werk Hegels – also mit dem Dreischritt von Phänomenologie des Geistes, Wissenschaft der Logik und Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften – tritt die Entwicklungsgeschichte des dialektischen Denkens auf eine neue Stufe. Hatten sich bis dahin dialektische Denkfiguren als spezielle methodische Antworten auf systematische Probleme der Philosophie ausgebildet – mit den großen Entwicklungsschüben in den Werken des späten Platon, des Neuplatonismus (vor allem Plotins und Proklos‘), des Nicolaus Cusanus, Leibniz‘ und schliesslich des deutschen Idealismus von Kant über Fichte zu Schelling – so nimmt nun bei Hegel die Dialektik zum erstenmal die Gestalt einer konstruktiv durchgeführten, aus der Natur des Begriffs = Natur der Sache begründeten logisch-onotologischen Systematik an, in der die bisher in der Geschichte der Philosophie ausgearbeiteten Elemente der Dialektik aufgenommen werden und in ihrem Zusammenhang integriert sind. In diesem Sinne ist Hegels Philosophie der Abschluss einer mehr als zweitausendjährigen Entwicklung und die Erschließung eines neu bestimmten Feldes der Philosophie (so wie dies in einer anderen Hinsicht die kalkulatorische Formalisierung der Logik erreicht hat). (S. 25)
Hegel entwickelt Fichte und Schelling dahingehend weiter, dass er das Ich, welches bei diesen die Welt aus sich entwickelt, auf die gleiche Stufe stellt mit der Welt, die Dialektik als real-ontologisch gegeben ansieht. Wenn er glaubte, damit die Philosophie und damit die Erklärung der Welt ein für alle mal abgeschlossen zu haben, hatte er sich allerdings getäuscht. Widerstand entstand ihm aus den eigenen Reihen. Die sog. Jung- oder Linkshegelianer waren nicht damit einverstanden, dass das Ich der Welt auf eine wie auch immer geartete Weise übergeordnet schien. Die geschichtliche oder anthropologische Wende der Linkshegelianer bestand darin, dass sie das Ich einerseits als gegeben, andererseits sich entwickelnd, und mit den Dingen der Welt konfrontiert, betrachteten, ein Ding wie eben diese Dinge auch. Hauptvertreter der junghegelianischen Wende waren Feuerbach und Bauer, aber auch Stirner zählt Holz dazu. (Von Stirner wäre der Weg dann kurz zum Anarchismus, aber Holz erwähnt gerade einmal Bakunin – mehr als einen halben Satz zu ihm und zum Anarchismus finden wir nicht.)
Wenn schon Feuerbach davon spricht, dass Hegel vom Kopf auf die Füsse gestellt werden müsse, so ist es gemäss Holz aber erst Marx und Engels vorbehalten, dies vollends zu tun. Zum anthropologischen Ich Feuerbachs kommt bei ihnen noch das politische Ich hinzu. Indem das Ich seine Klassenzugehörigkeit erkennt, und vor allem, indem das Arbeiter-Ich seine Zugehörigkeit zum Proletariat erkennt und damit Bereitschaft entwickelt, die Position des Proletariats durch Revolution zu ändern, wird die Umstülpung Hegels erst perfekt. Die Weiterentwicklung des Marxismus durch Lenin bleibt dann ein wenig undurchsichtig, was wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass Holz Lenins Denken nur bis zur Zeit der Russischen Revolution verfolgt. Der nachherige Diktator Lenin und der Marxismus-Leninismus als zur Unterdrückung des Volks verwendete Staatsdoktrin passten nicht mehr so recht ins Bild des Marxismus als Erlösungsphilosophie, vermute ich.
Den Schluss macht ein kleiner Appendix: Ausblick auf die Dialektik im 20. Jahrhundert. Holz kann wenige Dialektiker im 20. Jahrhundert beibringen, eine Weiterentwicklung des dialektischen Denkens nirgends ausmachen. (Den Schluss, den ich daraus zöge, nämlich, dass die Dialektik einfach ein philosophischer Blinddarm war, der sich einmal entzündete und dann aufplatzte und sich verbreitete, jetzt aber abgeheilt ist, zieht Holz selbstverständlich nicht!) Holz kann vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch die Frankfurter Schule ausmachen (prominent: Adorno und Benjamin), Lukács, Teile des französischen Existenzialismus (Sartre und Merleau-Ponty). Bei Helmuth Plessner findet er noch Weniges. Danach versickert die Dialektik. Philosophische Probleme, die Holz durchaus sieht, hat die Dialektik im 20. Jahrhundert seiner Meinung nach keine mehr gelöst.
Fazit nach 5 Bänden: Holz ist für den Nicht-Dialektiker immer dort interessant, wo er – um dialektische Spuren ausmachen zu können – das Werk eines Philosophen nahe am Text interpretieren muss (die Vorsokratiker, Platon). Wo er auf ausgefahrene Bahnen der Dialektik trifft (Hegel und Marx), verlässt er diese kaum und kann dem Nicht-Dialektiker die subtilen Unterschiede zwischen einzelnen Entwicklungsstufen (z.B. bei Hegel) nicht vermitteln. Wo zu viel Material ist, er also auswählen und kürzen muss (Scholastik), bringt er weniger als eine ‚klassische‘ Philosophiegeschichte, weil man weder der eigentlichen Philosophiegeschichte zu folgen vermag, noch gar der darin versteckt enthaltenen Geschichte des dialektischen Denkens. Ergo: Umfangreich, materialreich; aber eher punktuelles Nachschlagewerk als eigentliche Problemgeschichte.