Donald R. Griffin: Wie Tiere denken

Griffin gehört zu den ersten Ethologen, die die Bedeutung ihrer Wissenschaft für Philosophie, Anthropologie und Soziologie erkannt haben. Aber damals (Erscheinungsjahr der englischen Ausgabe war 1982) galt es noch einige Widerstände zu überwinden: Selbstverständlich aus dem philosophischen Bereich, der den Einbruch der Naturwissenschaft auf ihr ureigenes Forschungsgebiet als anmaßend betrachtete – aber auch von seiten des damals noch dominierenden Behaviorismus, der Überlegungen über „Geist“, „Bewusstsein“ oder die „Gedanken“ von Tieren als unwissenschaftlich abtat.

Diese Barriere zu durchbrechen und das mit zahlreichen Argumenten und Experimenten zu untermauern ist Griffin angetreten. Und er formuliert bewusst provokant, versucht dogmatische Haltungen mit aller Macht anzugreifen: Indem er nicht nur bei Primaten, Delphinen, Elefanten oder Hunden Vorformen des Denkens, von Bewusstsein festzustellen meint, sondern solche Erlebnisse auch Insekten oder Gliederfüßern zuerkennt. Dabei wird vor allem eines sichtbar: Es gibt keine allgemein gültige und anerkannte Definition dessen, was man unter Geist, Bewusstsein oder auch nur Denken versteht. Griffin selbst unternimmt nirgendwo einen Versuch, zu einer solchen Definition zu kommen, sondern nähert sich dem Problem unter Zuhilfenahme von Analogieschlüssen: Würde sich ein Primat (oder Mensch) in der Weise wie das besprochene Insekt oder der in Frage stehende Kopffüßer verhalten, wäre man in jedem Fall geneigt, ihm Intelligenz, Denken zuzuerkennen.

Dass Tiere denken, dass sie Gefühle haben, untereinander kommunizieren oder auch planendes Verhalten erkennen lassen, steht mittlerweile außer Frage (weshalb viele der aufgeworfenen Streitpunkte heute längst zugunsten des Autors entschieden sind). Und während im Bereich der Naturwissenschaft das Dogma des Behaviorismus längst der Vergangenheit angehört, während selbst die Soziologie auf die Erkenntnisse der Soziobiologie zurückgreift, verweigern sich einzig die Vertreter der Philosophie zu einem Gutteil dieser Erkenntnis. Die „Philosophie des Geistes“ ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, immer noch Teil einer abgehobenen, akademischen Spekulation, Erkenntnisse der Ethologie oder der Neurobiologie werden nur widerwillig zur Kenntnis genommen, ihre Bedeutung für die Philosophie bestritten. Immer noch gibt es dualistische Ansätze, die – wenn auch durch unverständliches Schwadronieren in einem Nebel von Worten verborgen – im Grunde nichts anderes tun als der Papst: Für den Geist (der für den Homo sapiens konstituierend sei) ist eine Art von Wunder zuständig, der dann hinter Ausdrücken wie Emergenz (als ob der Geist 3,5 Milliarden Jahre hinter einem Felsen verborgen gewartet hätte auf seinen Einsatzbefehl) versteckt wird. Insofern sind die Theologen sogar redlicher: Sie bemühen ihren lieben Gott ganz offenkundig, während den Geisteswissenschaftlern (weil sie sich ja als „Wissenschaftler“ verstehen) ihr supernaturalistischer Ansatz dann doch peinlich ist und hinter der erwähnten Nebelwand von Begrifflichkeiten verborgen bleibt.

Dieses Rückzugsgefecht erinnert an die Descartesche Haltung vom Tier als ein Wesen, das auf bloß mechanischer Basis funktioniert. Dieser offenkundige Unsinn gehört der Vergangenheit an, allerdings nur in Teilen: Denn das Denken (oder den Geist oder das Bewusstsein) haben die Philosophen weiterhin für den Menschen reserviert. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob man nun der Köcherfliege oder den Termiten bereits Denken und Bewusstsein zugestehen will: Das ist – wie oben erwähnt – einzig eine Frage der Definition. Entscheidend aber ist, dass all das, was wir als genuin menschlich benanspruchen, bei den mit uns so eng verwandten Tieren selbstverständlich (in geringerem oder größerem Ausmaß) ebenfalls vorhanden ist. Auch Insekten sind keine genetisch determinierten Automaten, sie sind lernfähig, können Situationen vorhersehen, einschätzen und erfüllen in vielerlei Hinsicht das, was wir im allgemeinen als kluges und vorausschauendes Verhalten ansehen (wenn es sich denn nicht um Insekten handelt). Griffin hat mit seinem Ansatz vollkommen recht: Ein genetisch programmiertes Wesen, das auf die unterschiedlichsten Anforderungen der Umwelt und seiner Artgenossen reagieren muss, wäre sehr viel aufwändiger als eines, das mit Konzepten agiert, auf diese Anforderung mit einem Höchstmaß an Variabilität antwortet. Wie variabel das Wesen nun tatsächlich sein „soll“, entscheidet die Natur anhand ökonomischer Kriterien: Nicht mehr als unbedingt notwendig, aber in einem solchen Maße, das es gegenüber anderen Wesen und seinen Artgenossen nicht den Kürzeren zieht. (In diesem Zusammenhang sei auf das wunderbare Buch von Valentin Braitenberg hingewiesen: Er zeigt anhand seiner „Vehikel, wie schmal der Grat ist, der simple deterministische Programme von intelligentem Verhalten trennt.)

Das Buch wird zu Recht von allen späteren Verhaltensforschern zitiert und hat dazu beigetragen, jenes Dogma zu beseitigen, dass den Geist einzig für uns Menschen in Anspruch nehmen wollte. Die zahlreichen Beispiele sind amüsant und erhellend, die Ausführungen Griffins originell – und sie treffen beinahe immer ins Schwarze: Dorthin, wo sich die menschliche Selbstgefälligkeit befindet, der Eigendünkel, der sich als letztes Refugium den Geist (was immer das sei) auserkoren hat.


Donald R. Griffin: Wie Tiere denken. Ein Vorstoß ins Bewußtsein der Tiere. München, Wien, Zürich: BLV 1985.

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