Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī

Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī, den ich im Folgenden der Einfachheit halber Rumi nennen will, lebte von 1207 bis 1273 und war ein persischer Sufi-Mystiker. Er gilt als einer der bedeutendsten persischsprachigen Lyriker des Mittelalters. Geboren wurde er im heutigen Afghanistan. Der kriegerische Einfall der Mongolen unter Dschingis Khan veranlasste seinen Vater, mit der Familie nach Westen zu fliehen. Schliesslich beendete Rumi sein Leben in Anatolien, in der heutigen Türkei.

Rumi mag hierzulande weniger bekannt sein als z.B. Hafis. Er hat aber vor allem im deutschen Sprachraum einige Dichter-Wissenschafter-Übersetzer (Rückert, Platen) und Musiker (Schubert, Richard Strauss) ebenso fasziniert, wie den Philosophen Hegel. Beides erstaunt nicht. Die Romantik, der die genannten Dichter und Musiker im weitesten Sinn zuzurechnen sind, hat die Freundschaft und die Liebe ähnlich ekstatisch gefeiert wie Rumi. Und sein mystisches Denken mit dem In-eins-Fliessen der Gegensätze muss dem Dialektiker Hegel gefallen haben.

Sein Herkunftsort war ein kultureller und religiöser Schmelztiegel. So darf es nicht verwundern, wenn Rumi, obwohl Lehrer für islamische Wissenschaft an einer Matrasa (dem islamischen Äquivalent einer Universität), in seinen Gedichten Toleranz nicht nur predigte, sondern auch vorlebte. (Jesus – der Prophet, nicht der Sohn Gottes! – ist neben Mohammed die meist genannte Persönlichkeit in seinen Gedichten.) Wie so oft bei Mystikern, drehen sich auch bei Rumi seine Werke immer um die Liebe. Die Liebe zu Gott natürlich als erstes, aber auch die Liebe zu Leib und Leben. Denn in seinen Gedichten erweist sich Rumi als alles andere denn ein weltabgewandter Asket. Wohl gibt er in einem Gedicht zu, dass Mohammed das Wein-Trinken verboten habe, weil einige den Genuss von Alkohol nicht im Griff haben, und es Mohammed deshalb für klüger hielt, das Wein-Trinken gleich für alle zu verbieten. Das hindert ihn aber nicht daran, in einem andern Gedicht den Wein, ja die Trunkenheit, ekstatisch zu feiern. Ekstasen finden wir viele in den Gedichten. Rumi feiert die Liebe und Gott in der Ekstase – und die ist bei ihm sowohl körperlich wie geistig. À propos Liebe: Er feiert nicht nur die freundschaftliche Liebe, wie sie selbst die Romantiker nicht mehr gefeiert haben; auch Sexualität ist ein Thema, das er anschneidet. Er wird darin sogar explizit, sehr explizit, und das auch bei Themen, die bis heute ein Tabu darstellen. So explizit wird er, dass seine ersten Übersetzer diese Gedichte nicht ins Vernakular übersetzten, sondern auf Latein widergaben. (Wahrscheinlich dachten sie, dass, wer Latein beherrscht, sittlich gefestigt genug sei, um auch übers Liebemachen mit Eseln lesen zu können, ohne dabei psychischen Schaden zu nehmen.)

Rumis Gedichte sind also alles andere als weltabgewandt. Sie erzählen gerne kleine Geschichten aus dem Alltag – mit angehängter Moral natürlich. Dabei scheint er aus den berühmten Geschichten aus 1’001 Nacht geschöpft zu haben, oder jedenfalls aus derselben Quelle, aus der auch diese Sammlung von Erzählungen schöpfte.

Obwohl es einige deutsche Übersetzungen gibt, ja Rumi in Deutschland übersetzt worden war, lange bevor das im englischen Sprachraum geschehen war, habe ich eine englische Auswahl-Ausgabe seiner Gedichte gelesen. Von Coleman Barks übersetzt, legt diese keinen Wert darauf, die komplizierten Versmasse des Originals einzuhalten, sondern will vielmehr den Inhalt widergeben. Diese Übersetzung liest sich dadurch sehr flüssig und schön. Und wenn Walt Whitman von andern alten persischen Lyrikern beeinflusst worden ist – v.a. Hafis –, so scheint Barks wiederum von Whitman beeinflusst zu sein: Sprachduktus und -melodie dieser Übersetzung erinnert in vielem an den US-Amerikaner. Vielleicht nicht die beste Übersetzung, wenns um Werktreue geht. Aber als Leseausgabe allemal ein Genuss.


Rumi: Selected Poems. London: Folio Society, 2017.

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