Johann Heinrich Merck: Gesammelte Schriften. Band 6: 1781-1782

Ende 1780 sollte Wieland im Teutschen Merkur ankündigen, dass diese seine Zeitschrift ab dem Folgejahr keine Rezensionen mehr enthalten würde. Merck hatte seit längerem nur noch für den Teutschen Merkur geschrieben und praktisch nur noch Rezensionen verfasst. Obwohl er aus früheren Zeiten auch noch mit Nicolai in Berlin befreundet war, und früher auch in dessen Allgemeiner deutscher Bibliothek Rezensionen hinterlegt hatte, sollte er – gemäss Nachwort dieses Bandes – nicht mehr darauf zurückkommen, und so können wir gespannt sein, was der Inhalt von Band 6 sein wird.

So habe ich seinerzeit meine Bemerkungen beendet zu Band 5 der Ausgabe von Mercks Werken, herausgegeben von Ulrike Leuschner, peu à peu erscheinend im Göttinger Wallstein-Verlag. Mittlerweile (2017) ist besagter Band 6 erschienen. Merck schreibt tatsächlich keine Kritiken mehr. Das heisst: Er schreibt keine Literaturkritiken mehr. Der Beschäftigung mit Bildhauerei, Malerei und Kupferstichen kann er sich nicht enthalten. Die versteckt er u.a. in sog. Briefen an den Herausgeber des Teutschen Merkur. Oder er redigiert Briefe des Malers Wilhelm Tischbein aus Rom und gibt diese an Wieland weiter. (Wilhelm Tischbein ist jenes Mitglied der weit verbreiteten Künstler-Familie, das durch sein Bild von Goethe in Rom berühmt werden sollte.) Wie Merck überhaupt in Tischbeins Angelegenheiten sehr umtriebig tätig wird: Tischbeins Rom-Stipendium, das er von der Kasseler Akademie erhalten hat, ist ausgelaufen und wird nicht verlängert. Und auch wenn Mercks Rolle in der Angelegenheit meist verschwiegen wird: Er ist es, der Goethe und den Herzog Carl August auf den jungen Maler aufmerksam macht, die wiederum den befreundeten Herzog Ernst II. von Gotha-Altenburg überzeugen können, seinerseits ein Stipendium für Tischbein zu bewilligen. Und das, obwohl Merck den Maler gar nicht persönlich kennt, nie kennen lernen wird.

Eine Mischung aus Persönlichem und Wissenschaftlichem stellt die in zwei Versionen überlieferte Doppelbiografie der beiden Forster dar. Mindestens eine Version davon war offenbar für den Weimarer Herzog Carl August bestimmt.

Mercks Publikationsorgane sind nur noch wenige. Er schreibt vorwiegend für den Teutschen Merkur des Freundes Wieland. Seine Themen verlagern sich in die Naturwissenschaften. Er übersetzt oder redigiert Texte über den Monsun in Indien, über Astronomie oder Klimatologie, bespricht statistische Werke, und wenn er Reisebeschreibungen liest, so interessieren ihn nun nicht Pallas‘ Reisen als solche, sondern die paläntologischen Funde der Expedition. Dazu kommen ein paar kleinere literarische Arbeiten. In Herr Oheim der Jüngere, eine wahre Geschichte nimmt er den aufklärerischen Optimismus in Bezug auf ein sich selbsterhaltendes und zurückgezogenes Leben auf dem Lande, den er in Geschichte des Herrn Oheims noch 1778 an dem Tag gelegt hat, wieder zurück. Lindor eine bürgerlich-teutsche Geschichte, ein kurzer Briefroman, schildert an Hand der Erlebnisse dreier Freunde die Situation der jungen bürgerlichen Intelligentsia der Zeit zwischen Beruf und Berufung. Eine hübsche kleine, aber tiefgründige Satire.

Neben einer Deutschen Encyclopädie, für deren 5. Band er poetologische und kunstkritische Artikel verfasst, ‚publiziert‘ Merck nur noch in einer ‚Zeitschrift‘: dem Journal von Tiefurt. Seine allzu satirischen Spitzen in Anonymi Zweifel und Fragen, den Ennui der gehobenen Gesellschaft betreffend, werden allerdings trotz der Tatsache, dass Herzogin Anna Amalia den ‚Aussenkorrespondenten‘ Merck sehr schätzt, nicht aufgenommen – zu spitz sind offenbar seine Bemerkungen. Dass wir sie heute überhaupt kennen, verdanken wir Luise von Göchhausen, die auch diesen Text, wie so viele aus jener Zeit von Menschen, die sie mochte, aufgehoben hat und in deren Nachlass er gefunden wurde.

Den wichtigsten Text der in Band 6 enthaltenen 2 Jahre stellt aber eine von Merck im Selbstverlag veröffentlichte Broschüre dar, Lettre A Monsieur de Cruse, der sog. Knochenbrief. Ursprünglich für Cruse, den deutschstämmigen Leibarzt der russischen Zarin gedacht und ihm nach etwelchen Schwierigkeiten auch persönlich überreicht (über diesen Cruse scheint sich das Internet auszuschweigen), gibt Merck ihn auch an jene Persönlichkeiten weiter, von denen er erwarten kann, dass sie ihn als Paläntologen und Osteologen so ernst nehmen, wie er sich selber unterdessen ernst nimmt: zwar kein Profi, aber doch weit über den gewöhnlichen Amateur-Status hinausgewachsen. Soemmerring wie Camper reagieren durchaus positiv, ohne aber weiter etwas für Merck unternehmen zu können oder zu wollen. Merck muss sich damit begnügen, weiterhin nur Briefe, Knochen und Zeichnungen von Knochen zu tauschen.

Allerdings hat der Knochenbrief einen unerwünschten Nebeneffekt: Freund Goethe bittet ihn sich aus, um ihn für die eigene Arbeit am menschlichen Zwischenkieferknochen auswerten zu können. Goethe erklärt aber seinem Freund nicht, wozu er den Knochenbrief benötigt. Als dann seine Arbeit zum Zwischenkieferknochen erscheint, fühlt sich Merck ausgenützt. So führt der Knochenbrief indirekt die wohl grösste Krise in der Freundschaft der beiden herbei.

Wie schon in Band 5 könne wir auch für Band 6 feststellen, dass das Verhältnis von Merck-Texten zu Editions-Texten in etwa 1:2 beträgt. Die Anmerkungen der Herausgeber unter Leitung von Ulrike Leuschner sind wie immer sorgfältig und erhellend. Es lohnt sich, Merck und diese Edition seiner Werke kennen zu lernen.

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