„Aus dem Schatten eines Giganten“ ans Licht geholt werden sollen vor allem Zwei: Der Untertitel Hooke, Halley & the Birth of British Science nennt sie. Wir haben eine Art Tripel-Biografie vor uns, in der die Leben und Interaktionen der drei britischen Gelehrten Robert Hooke, Isaac Newton und Edmond Halley geschildert werden. Die drei haben sich gekannt, obwohl sie jeweils durch ½ Generation von einander getrennt waren, und auch vom Charakter her wenig gemeinsam hatten. Hooke war der älteste, dann kam Newton, zum Schluss Halley. Ihr Verbindungsglied war, neben gemeinsamen Forschungsgebieten, die eben erst gegründete Royal Society. Diese Vereinigung von Naturwissenschaftern und interessierten Laien hatte sich die – an eine Aussage ihres ‚Schutzpatrons‘ Francis Bacon angelehnte – Aussage Nullius in verbo zum Motto gemacht: Akzeptiere nichts nur auf das Wort eines andern. (Der Royal Society gehörte übrigens auch Samuel Pepys an, der – nach Christopher Wren, aber vor Isaac Newton und Joseph Banks – deren dritter Präsident war. Vieles, was die Royal Society betrifft, haben Gribbin & Gribbin aus dessen Tagebüchern genommen.)
Das Buch stellt vor allem eine Frage: Was wäre aus der führenden Rolle geworden, die die englische Naturwissenschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einzunehmen begonnen hatte, und die sie vor allem dem Ruf der Royal Society und dem Ruf Newtons zu verdanken hatte, wenn eben dieser Newton aus irgendeinem Grund nicht gelebt hätte?
Die Antwort der beiden Autoren ist eindeutig: Die englische Naturwissenschaft hätte auch dann eine führende Rolle eingenommen. Dies vor allem wegen Robert Hooke. Hooke war ein Universalgelehrter, wie er im Buche steht. Neben intensivem Mikroskopieren beschäftigte er sich auch mit Astronomie und Physik, und war noch vor Newton auf das Gravitationsgesetz gestossen. Die Auseinandersetzung um die diesbezügliche Priorität wurde schon zu Lebzeiten von Hooke und Newton heftig geführt. Newton obsiegte, was nicht zuletzt daran lag, dass er Hooke überlebte. John und Mary Gribbin nehmen in dieser Auseinandersetzung eindeutig Hookes Partei – so eindeutig, dass viele Bemerkungen zu Newton in ein veritables Newton-Bashing ausarten, in dem an Newtons (offenbar tatsächlich sehr streitsüchtigen – man denke an ähnliche Prioritätsstreitigkeiten um die Infinitesimalrechnung mit Leibniz) Charakter kaum ein gutes Haar gelassen wird. Hooke war auch Mechaniker und Tüftler. Er entwickelte die ersten Uhren, die nicht mehr auf Gewichte und Pendel angewiesen waren, um funktionieren zu können. Sein Leben lang suchte er nach einem Instrument, mit dem die Marine die Position ihrer Schiffe auf hoher See sowohl in Bezug auf die Längen- wie auf die Breitengrade bestimmen konnte. Allerdings war ihm hier kein Erfolg beschieden. Ausgehend von Versteinerungen entwickelte er erste Gedanken in die Richtung, die dann Darwin zur Evolutionstheorie führen sollte. Last but not least war Hooke auch als Architekt – nominell ein Gehilfe Wrens, tatsächlich aber ziemlich selbständig – führend am Wiederaufbau Londons nach dem grossen Brand von 1666 beteiligt. Nach heutigem Ermessen müsste man sagen: Hooke hat sich verzettelt und deswegen nie ganz den Nachruf erhalten, den er verdient hätte.
Auch Halley war ähnlich universal begabt. Neben der Astronomie und dem Kometen, der heute seinen Namen trägt, und den er zwar nicht entdeckt, aber dessen Periodizität er berechnet hatte, galt sein Interesse auch Irdischerem. Als erster machte er den Vorschlag zu einer Weltumsegelung aus wissenschaftlichen Motiven. Und wenn sich diesbezügliche Pläne auch zerschlugen, und erst Cook und Banks so eine Reise ausführen sollten, so war Halley doch des öftern auf Reisen. Schon als junger Wissenschafter auf St. Helena, später dann bereiste er (wie nach ihm Banks) Neufundland. In einer andern Reise kam er nach Rio de Janeiro und reiste als erster Brite der Küste Brasiliens entlang. Und wenn ihm Cook und Banks das später nachmachten und heute mehr Ruhm davon haben, so hatte er ihnen eines voraus: Bei Cook und Banks waren die Rollen von Schiffsführer und Wissenschafter auf zwei Personen verteilt. Halley – auch wenn die beiden Autoren nicht sagen können, wie er an das Patent gekommen ist, weil ihm keine längere Dienstzeit in der Marine nachgewiesen werden kann – Halley war auf seinem Schiff selber Master and Commander, wie der offizielle Titel der Navy für einen ihrer Schiffskapitäne lautete.
Fazit: Vielleicht – aber darauf gehen Gribbin und Gribbin nicht ein – war es gerade die Tatsache, dass Hooke und Halley viel universaler interessiert und tätig waren, als der ‚Monomane‘ Newton, die, zusammen mit der Tatsache, dass Newton nicht nur beobachtete und schilderte, sondern der bedeutend bessere Mathematiker war, den Mittelmann der Trias zum Vorbild heutiger Wissenschaft und dem Riesen, als der er jetzt empfunden wird, machte. Newton war sozusagen der modernste Forscher der drei. Und auch wenn Gribbin & Gribbin zum Schluss kommen, dass der britischen Wissenschaft die führende Rolle auch schon nur wegen Hooke und Halley zugekommen wäre – diese Wissenschaft wäre wohl noch auf lange Zeit eine andere gewesen, als die, die Newton ins Leben rufen half.
Alles in allem eine anregende Lektüre, die zwar immer den Fakten folgt, aber in vielen Passagen (vor allem denen über Newton!) mit Vorsicht zu geniessen ist.
John Gribbin, Mary Gribbin: Out of the Shadow of a Giant. London: William Collins, 2017.