Frank Holl: Alexander von Humboldt. Mein vielbewegtes Leben

Etwas zwiegespalten stehe ich diesem biogafischen Portrait Humboldts schon gegenüber. Da ist einerseits die wunderschöne Gestaltung, die in vielerlei Hinsicht interessanten Illustrationen. Dazu gleich.

Da ist andererseits der Text. Holl folgt Humboldts Leben sehr getreu. Er bringt auch immer wieder Auszüge aus Humboldts Werken, Briefen, Tagebüchern. Aber mit wenigen Ausnahmen enthält er sich jeglicher Interpretation (was per se nichts Übles ist) und jeder Erklärung. Letzteres fehlt ein bisschen. Wahrscheinlich würde ich, wenn ich Holls Biografie als erstes Werk von oder über Humboldt gelesen hätte, sogar genau von diesem Versuch einer Objektivität schwärmen. Aber es ist nicht meine erste Beschäftigung mit Alexander von Humboldt. Und so wirkt für mich ein bisschen wie unkritische Heldenverehrung, was so mancher Leser, so manche Leserin, als wohltuend neutrale Berichterstattung empfinden würde.

Zum Beispiel stellt sich in Holls Biografie die grosse Humboldt-Reise nach Südamerika so dar, wie wenn es eigentlich reiner Zufall gewesen wäre, der Alexander dorthin verschlug – Zufall, weil sich andere vorgängige, auch vom Zufall diktierte Pläne nicht realisierten. Wie aber ist ein unbekannter Preusse, zwar von Adel, aber keineswegs prominent, dazu gekommen, vom spanischen König Audienz und eine Art General-Passepartout für dessen amerikanische Kolonien zu erhalten? Unter anderem muss Alexander jahrelang fleissig Spanisch gelernt haben, um sich am spanischen Hof so rasch so beliebt machen zu können. Was bei Holl als reiner Zufall wirkt, muss also (mindestens teilweise) Planung von langer Hand gewesen sein. Oder da sind die in ungeheuer schwärmerischen Briefen ausgedrückten Jugendfreundschaften Alexander von Humboldts. Holl erwähnt dies mehrmals. Man meint sogar, zwischen den Zeilen etwas Süffisantes herauszulesen. Aber, waren das nun Liebesbeziehungen oder nur Ausdruck des damaligen Freundschaftskults, wie ihn dann die Romantiker im Exzess vorführten? Ich bin keineswegs Freund davon, dass die Sexualität des jeweils biografierten Opfers in extensis diskutiert wird, aber so, wie es Holl ausführt, fühlt sich der Leser nicht ernst genommen. Dafür werden – und es klingt schon fast wie übles Name-Dropping – Besuche von Adelbert von Chamisso (selber zu seiner Zeit ein bekannter Reisender und Naturforscher) beim alten Humboldt erwähnt, ein Briefwechsel mit dem damals auf dem Höhepunkt seines Weltruhms stehenden Joseph Banks, oder der Besuch bei Thomas Jefferson.

Den Besuch zu erwähnen, ist natürlich Pflicht für einen Biografen, der bei der Darstellung von Humboldts Leben einen Schwerpunkt bei Humboldt als Kritiker der kolonialistischen Verhältnisse in Südamerika setzt, und der Sklaverei, wie er sie in Kuba und den jungen USA vorfindet. Denn es ist ja nicht so, dass Holl einen völlig profillosen Alexander von Humboldt präsentierte. Dass Humboldt seine Kritik privat bedeutend prononcierter äusserte, als in seinen öffentlichen Schriften, wird ebenfalls erwähnt. Neben dem Kritiker des Kolonialismus und der Sklaverei finden wir in dieser Biografie im deutschen Gelehrten des frühen 19. Jahrhunderts auch einen Vorläufer der ‚grünen‘ Bewegung. Tatsächlich hat Humboldt ja als erster auf die Zusammenhänge von abgeholzten Wäldern mit Dürre- und Flutkatastrophen hingewiesen. Humboldt hat – auch darauf wird hingewiesen, wenn auch sehr kurz (was beweist, dass selbst 375 grossformatige Seiten nicht ausreichen, ein so langes und so ereignisreiches Leben, wie dasjenige Humboldts zu schildern) – Humboldt hat, wollte ich sagen, auch die sog. Isothermen in die Klimatologie eingeführt (ja die Klimatologie im eigentlichen Sinn erst erfunden). All dies wird herausgestrichen und Alexander von Humboldt so als einer der ersten ‚modernen‘ Denker und Forscher präsentiert. Nicht vergessen wird die Tatsache, dass es Humboldt war der der Landschaftsmalerei Anstoss gab, sich mit exotischen Landschaften zu beschäftigen. Dass es der alte Humboldt war, der mit seinem Interesse die aufkeimende Fotografie förderte. (Das einzige, was ich nicht wusste, vielleicht in anderen Biografien auch einfach überlesen habe.)

Was das Buch zu einem Schatz der biografischen Literatur macht, ist seine Gestaltung: das Format etwas grösser als A4, etwas über 375 Seiten, grosszügiger und leicht lesbarer Satz, Hochglanzpapier und viele, viele farbige Illustrationen. Unter denen sind nicht nur die zu erwartenden Reproduktionen von Ölgemälden mit Portraits der handelnden Personen. Es finden sich Fotografien der Instrumente, mit denen Humboldt gereist ist (oder jedenfalls von ganz ähnlichen bis heute erhaltenen). Da sind Beispiele der von Humboldt geförderten exotischen Landschaftsmalerei zu sehen oder der ebenfalls von ihm geförderten Fotografie (inklusive Fotografien vom alten Humboldt bzw. seinem Arbeitszimmer in Berlin). Es finden sich zeitgenössische Kupferstiche von vielen Orten, an denen sich Humboldt aufhielt. Eine grössere Anzahl davon stammt aus Kinder- und Jugendbüchern des umtriebigen Weimarer Verlegers Bertuch und beweist (ohne dass Holls Text weiter darauf einginge), wie weithallend nicht nur Humboldts (und Forsters) Reisen waren, sondern wie jene Zeit generell eine Sehnsucht nach dem Fremden empfand. (Forster, dessen Einfluss auf Humboldt nach der gemeinsamen Reise durch die Niederlande, England und Frankreich – Humboldts erster grosser Reise – nicht unterschätzt werden kann. Etwas, das in dieser Biografie ein wenig zu kurz kommt.) Last but not least finden wir als Kuriosum sogar eine Fotografie jenes Buchs, das Alexander von Humboldt bei seinem Besuch der chinesischen Grenzoffiziere so faszinierte, dass es ihm der Befehlshaber der kleinen chinesischen Grenzwacht für seinen an Sprachen interessierten Bruder Wilhelm schenkte. Es handelte sich dabei um eine Kopie einer Volksausgabe der Geschichte der drei Reiche.

Man sollte diese Biografie als Einstieg in die Beschäftigung mit Alexander von Humboldt lesen. Nur für solche Fälle kann ich sie uneingeschränkt empfehlen. Aber die Illustrationen sind per se einen Kauf wert.


Frank Holl: Alexander von Humboldt. Mein vielbewegtes Leben. Ein biografisches Porträt. Berlin: Die Andere Bibliothek, 2017.

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