Laurence Sterne: Die Briefe

Gute Briefeditionen können eine Biografie ersetzen – was aber, wenn es sich um eine schlechte Briefedition handelt? Nun ist die vorliegende Ausgabe1) nicht eigentlich ‘schlecht’; aber ‘gut’ leider auch nicht. Das hat verschiedenen Gründe; nicht für alle sind die deutschen Herausgeber verantwortlich.

Im Gegenteil: Hauptverantwortlich ist Sterne selber, bzw. seine Tochter als Testamentsvollstreckerin. Sterne, der seit längerem wusste, dass er sterben würde, vermachte Gattin und Tochter auch die umfangreiche Sammlung von Abschriften seiner Briefe, damit sie diese veröffentlichen und so etwas Geld erhalten könnten, das ihnen ansonsten fehlen würde, denn Sterne war weder als Geistlicher noch als Autor reich geworden. Als Sterne dann starb, befand sich die Tochter gerade in Südfrankreich und beauftragte einen Schwager, diese Briefe erst einmal zu sichten. Ob der nun im Auftrag der Tochter handelte, oder in eigenem Ermessen, kann ich nicht sagen. Jedenfalls las er jeden Brief, und wann immer er den Eindruck hatte, da stände etwas für züchtige weibliche Augen und Ohren Ungehöriges drin (und das muss bei Sternes Briefen bzw. der Prüderie eines durchschnittlichen Menschen wie seinem Schwager recht oft der Fall gewesen sein), wann immer er also Unzüchtiges witterte – verbrannte Sternes Schwager den Brief. Damit nicht genug. Bei den von ihr herausgegebenen Briefen griff die Tochter dann ihrerseits schwerwiegend in den Text ein. Sie formulierte um, liess weg, fügte hinzu – alles mit dem Ziel, ihre Mutter (über die Sterne am Ende seines Lebens kaum Gutes zu sagen wusste) nicht schlecht dastehen zu lassen. Die meisten Originale muss sie dann vernichtet haben; jedenfalls sind wenige der von ihr herausgegebenen Briefe heute aufzufinden. Aus einer derartigen Ausgangslage kann keine gute Briefedition mehr entstehen. Daran konnte wohl auch die Florida-Edition (s. Anm. 1) nichts ändern, dafür können auch die deutschen Herausgeber nichts.

Schuld der deutschen Herausgeber aber ist es, wenn sich ihre herausgeberische Tätigkeit auf erklärende Fussnoten beschränkt, und sie auf jede (biografische) Einordnung der Briefe verzichten. Sie waren wohl der Meinung, dem mit Hörners biografischer Beilage Genüge getan zu haben. Es ist – wann wollt Ihr, liebe Verlage, das endlich begreifen – immer misslich, wenn ich, um Informationen zu erhalten, in verschiedenen Bänden der gleichen Ausgabe blättern muss. Dafür gibt es Abzüge in der Stilnote, tut mir leid. Der Schwabe in mir wiederum ärgert sich über die Tatsache, dass wir hier nochmals ein paar der Briefe an Eliza finden, mit genau demselben Text und genau denselben Anmerkungen, die wir schon im Band mit den Kleinen Schriften gefunden hatten. Die Herausgeber machten sich ihre Sache leicht; dafür habe ich als Kunde für dieses Dutzend Seiten oder zwei doppelt bezahlt. Weitere Abzüge in der Stilnote.

Noch ein paar Worte zum Inhalt. Wie schon gesagt: Die besten Passagen aus Sternes Briefen haben wir wohl für immer verloren, jene Passagen, in denen Sterne ‘shandysierte’, sprich seiner Lust an sexuellen Anspielungen, Wortspielen, Ironie und Satire freien Lauf liess. (Was er, wie wir aus ein paar Überbleibseln wissen, gegenüber Freunden durchaus getan hat.) Wir finden auch Amtsbriefe. Die sind, was Amtsbriefe halt so sein können. Ob das nun die Schuld der Überlieferungslage ist, ob Sterne tatsächlich nicht geschrieben hat, oder ob die deutschen Herausgeber alle diese Briefe weggelassen haben: Es fällt auf, dass Sterne sich zwar schon früh in seinen Briefen aus Frankreich an seine englischen Freunde und Bekannten der Freundschaft von Diderot und vor allem von Holbach rühmt, auch stolz erzählt, wie ihn letzterer immer wieder zu seinen Gesellschaften einlädt, so lange er in Paris ist – wir finden aber keinen einzigen direkten Brief an die französischen Aufklärer. Nun war – das lässt sich u.a. in der Empfindsamen Reise leicht feststellen – Sternes Umgang mit der französischen Sprache recht kreativ, und es mag sein, dass er deshalb zögerte, an die Franzosen zu schreiben. Denn selbst später noch, zurück in England, wird er seine englischen Freunde in Paris immer wieder bitten, Holbach und Diderot seine Empfehlung auszurichten, ohne je das Wort direkt an diese zu adressieren. Seine englischen Freund und Bekannten gehören aber leider nicht zu den ganz Grossen der Literatur- oder Geistesgeschichte. So einen Briefwechsel zwischen Sterne und Diderot stelle ich mir viel Interessanter vor, als alles, was der vorliegende Band zu liefern hat. (Abgesehen davon, dass wir hier nur Briefe von und keine an Sterne finden.)

Eine kleine literaturgeschichtliche Anekdote am Rande: Offenbar hatte die Tochter einmal geschrieben, dass Mutter und Tochter in Südfrankreich einen Abbé de Sade und seinen Neffen kennen gelernt hatten, der Neffe sie auch zu einem Essen bei sich einlud. Eine Einladung, der sie Folge leisteten. So finden wir – auch wenn sich der schlechte Ruf des Marquis erst zu bilden begann und die beiden weiblichen Sternes diesbezüglich sicher ahnungslos waren – über Frau und Tochter eine Verbindung vom englischen Spötter und Empfindsamen zum französischen Skandalautor. Sterne, hätte er davon gewusst, hätte diese literaturgeschichtliche Ironie sicher geschätzt.

Alles in allem wage ich zu behaupten, dass man Sterne Briefe nicht unbedingt gelesen haben muss, sicher nicht in der mir vorliegenden Ausgabe gelesen haben muss.


1) Laurence Sterne: Die Briefe. Ins Deutsche übertragen von Michael Walter. Mit Anmerkungen auf der Grundlage der Florida-Edition versehen von Anke Albrecht und einem Vorwort von Wolfgang Hörner. Berlin: Galiani, 2018. [Bei der Florida-Edition handelt es sich um die heute gültige kritische Ausgabe aller Schriften Sternes; hier im Besonderen um: Laurence Sterne: The Letters. Part 1: 1739-1764 / Part 2: 1765-1768. Hg. Von Melvyn New und Peter de Voogd. Gainsville et al.: University Press of Florida, 2009.]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert