Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken

Teil 2 der Philosophie der symbolischen Formen ist dem Andenken Paul Natorps gewidmet und enthält folgende Abschnitte:

  1. Der Mythos als Denkform
  2. Der Mythos als Anschauungsform. Auftritt und Gliederung der räumlich-zeitlichen Welt im mythischen Bewusstsein
  3. Der Mythos als Lebensform. Entdeckung und Bestimmung der subjektiven Wirklichkeit im mythischen Bewusstsein
  4. Die Dialektik des mythischen Bewusstseins

Wie schon im ersten Teil stützt sich Cassirer auf die aktuellen Forschungsresultate der Wissenschaften ab, hier vor allem der Ethnologie. Wie schon im ersten Teil zeigt sich die Gefährlichkeit eines solchen Vorgehens: So sehr es begrüssenswert ist, wenn die Philosophie nicht im luftleeren Raum und aus heiterem Himmel Axiome und Postulate erstellt, so gefährlich ist es, wenn sie sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse abstützt, die im Laufe der Jahre überholt werden. Die damalige Ethnologie war, wie die damalige Sprachwissenschaft, durchaus der Meinung, es gebe eine weltweit stattfindende und gezielte Entwicklung, hier nicht der Sprache, sondern der mythisch-religiöser Anschauungsformen (salopp gesagt: vom einfachen Animimus hin zur komplexen Theologie einer Dreifaltigkeit). Rund 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen von Cassirers mythischem Denken würde das wohl kein Ethnologe mehr unterschreiben. Damit entzieht die moderne Ethnologie aber indirekt Cassirers Denkgebäude dessen Fundament. Was Cassirer als allgemeingültige anthropologische Konstante sah und worauf er seine Erkenntnistheorie aufbaute, war im Grunde immer noch ein Konstrukt einer eurozentrisch-weissen Überheblichkeit. Die vielen Beispiele, die Cassirer Frazer oder dessen Quellen entnimmt, beweisen aus heutiger Sicht gar nichts.

Im Übrigen zeigt sich hier der Neukantianer Cassirer als Neu-Schellingianer, indem er sich weniger beim Gründervater des deutschen Idealismus, Kant, bedient, sondern mehr (um nicht zu sagen: ausschliesslich) beim späten Schelling der Philosophie der Mythologie von 1842. Wie Schelling versucht auch Cassirer, Mythen als Beschreibungsformen allgemeingültiger Wahrheiten zu erfassen. Dabei rutscht er allerdings in die Nähe zu Henri Bergsons Vitalismus, wie er selber zugibt. Da hilft es wenig, wenn er nebenbei auf Hegel, Freud, Weber oder Durkheim verweist. Ein Schlusskapitel, in dem er auf die Mystik sowohl des Mittelalters (Rumi!) wie auf ihren späteren herausragenden Vertreter, den schlesischen Engel, hinweist, entlässt den Leser mit schlimmsten Befürchtungen für den dritten Teil.

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