Elie Wiesel: Night [dt.: Die Nacht / OT: La nuit]

1941: Eliezer Wiesel war 13 Jahre alt und zutiefst fromm. Er lebte bis dahin ein behütetes Leben im Städtchen Sighet in Siebenbürgen und träumte davon, Rabbi zu werden und mit einem Kabbala-Lehrer sich in die Geheimnisse dieses Werks zu vertiefen und Gott noch näher zu kommen. Sein Vater Shlomo, zwar ebenfalls sehr fromm und eine Stütze seiner Gemeinde, wollte davon nichts hören. Aus Zufall fand Eliezer einen Lehrer in Moishe, einem von den meisten scheel angeschauten Aussenseiter. Eines Tages verschwand dieser Moishe. Als er wieder auftauchte, erzählte er Horror-Geschichten davon, wie er von den Deutschen verschleppt worden war und wie diese Deutschen auf ihrem Weg mit ihren Gefangenen kleine Kinder in die Luft warfen und sie als Zielscheiben benützten. Niemand in der jüdischen Gemeinde von Sighet wollte ihm glauben. Siebenbürgen war gerade erst aus rumänischer in ungarische Hand übergegangen. Ungarn unterstützte zwar aus eigenen Motiven das Dritte Reich, verfolgte aber die Juden nicht weiter. 1944 aber – das Dritte Reich bröckelte bereits an den Rändern und die Juden von Sighet hofften darauf, dass ihre Stadt in ein paar Wochen oder Monaten von der Roten Armee befreit würde – fielen die Deutschen in Ungarn ein. Nun änderte sich die Situation der Juden rapide und dramatisch. Zuerst durften sie nur Sighet nicht verlassen, dann die ihnen zugewiesenen Quartiere der Stadt, schliesslich wurden sie in deutsche Konzentrationslager abtransportiert. An die Stelle der relativ humanen ungarischen Ordnungskräfte trat die deutsche Gestapo, die brutal durchgriff.

Eliezeser gehörte mit seiner Familie zum letzten Konvoi. Schon bald wurde er von Mutter und Schwester getrennt, die kurz danach in den Öfen von Auschwitz umkommen sollten. Mit seinem Vater wurde er in verschiedene andere Lager verlegt. Kurz vor der Ankunft in Buchenwald erlag Shlomo Erschöpfung und Krankheit. Im Frühling 1945 wurde Eliezer dort von US-amerikanischen Truppen befreit. Jahre später sollte er auf den französischen Literaturnobelpreis-Träger François Mauriac treffen, der ihn dazu animierte, seine Erlebnisse im KZ niederzuschreiben und der auch einen Verlag für das Buch suchte.

Das Buch umfasst in meiner Ausgabe keine 140 Seiten, und die sind grosszügig bedruckt und vom Format her nicht viel über Taschenbuchgrösse. Dennoch ist La nuit eine schwere Lektüre. Die Brutalität und Gedankenlosigkeit, die sich die Deutschen gegenüber den KZ-Insassen zu Schulden kommen lassen, die aber auch KZ-Insassen untereinander, aneinander verübten, zeigen den Menschen von seiner schlimmsten Seite.

Fast genau so deprimierend wirkt auf mich aber die Passivität, mit der die Juden von Sighet ihr Schicksal erwarteten. Shlomo Wiesel hätte viele Möglichkeiten gehabt, hätte noch 1944 Möglichkeiten gehabt, hätte kurz vor dem Abtransport noch Möglichkeiten gehabt, legal nach z.B. Palästina auszureisen. Er wollte kein neues Leben beginnen. Ähnliches habe ich schon bei der Lektüre der Tagebücher aus den Kriegsjahren von Viktor Klemperer festgestellt. Auch Klemperer, ein bekannter Romanistik-Professor, hätte nach Frankreich oder in die USA ausreisen können, hätte dort ohne Probleme eine andere Professur erhalten – er blieb lieber in Dresden. Und ich frage mich, was geschehen wird, wenn das Reich der Nacht Europa abermals verschlingen sollte…

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