Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch

Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, irgendeines der Bücher zu lesen, die auf der Longlist des diesjährigen deutschen Buchpreises zu finden sind. Und schon gar nicht dieses Buch. Junge Frauen, die über junge Frauen schreiben, die an einem übermächtigen oder an einem völlig abwesenden Vater leiden, sind mir nicht erst seit Zoë Jenny ein Graus; da gab es viel früher schon Gertrud Leutenegger. Und Melinda Nadj Abonjis Geschichte der Auseinandersetzung einer jungen Frau mit Elternhaus und Herkunft gehört in etwa in dieselbe Kategorie. Kein Thema, das mich zu faszinieren vermöchte.

Wäre da nicht vor kurzem jene Sendung des Literaturclubs gewesen (Schweizer Fernsehen SRF), in der eine nicht mehr ganz so junge Frau, die bis heute von vielen als Grande Dame der Literaturkritik bezeichnet wird (gibt es denn Sigrid Löffler nicht mehr? Und seit wann ist jemand Grande Dame, die massgeblich an der Verluderung des deutschen Feuilletons beteiligt war?), ein nicht mehr ganz so junge Frau also, die Folgendes zu diesem Buch von sich gab:

Es ist grauenhaft, dieses Buch. Es ist entsetzlich, es ist ein Albtraum, es zu lesen. Das Buch ist unehrlich, verlogen, konstruiert. Und wenn das ernst gemeint ist, dann hat die Autorin eine ernsthafte Störung.

Um abzuschliessen mit der … nun ja: war’s als Drohung gemeint?

Wenn das die junge Generation ist, dann gnade uns Gott.

Dass man im Alter dazu neigt, nur die eigene Zeit als gut, die heutige aber als schlecht zu empfinden, finden wir bekanntlich schon bei den alten Griechen. Dass man aber im öffentlich-rechtlichen TV eine Autorin derart beschimpfen darf, ist ein starkes Stück. Ganz abgesehen davon, dass die Grande Dame der Literaturkritik jenen Fehler macht, den man dem Literaturwissenschaftstudenten, der Literaturwissenschaftsstudentin, schon im ersten Semester des Studiums als absolutes No-Go austreibt: Sie schliesst vom vermeintlich kranken Inhalt eines künstlerischen Werks auf eine vermeintlich kranke Psyche des Urhebers, der Urheberin. Eine unerquickliche Tradition, in die sich da unsere Grande Dame einreiht. Ausserdem möchte ich nicht wissen, was sie zu E. T. A. Hoffmann sagen würde. Oder zu Machen und Lovecraft. Von Lautréamont ganz zu schweigen. Ich vermute allerdings, dass die Patina des Klassischen Hoffmann bei ihr vor so einem Urteil bewahrt, dass sie Machen oder Lovecraft kaum kennt, Lautréamont ganz sicher nicht.


Doch nun zum Roman selber. Ich habe oben die Pflöcke gesetzt, innerhalb derer ich Steinbecks Werk betrachte: den Entwicklungsroman weiblicher Ausprägung des 20. Jahrhunderts einerseits, die Grossmeister der phantastischen Literatur andererseits. Denn Steinbecks Roman ist ein Hybrid aus beidem. Der offenbar von zu Hause weggelaufene Vater und die Suche der Ich-Erzählerin, seiner Tochter, nach ihm, sind das Thema des Romans – so weit man von einem Thema sprechen kann. Denn die Handlung des Romans ist in traumhafte Sequenzen aufgeteilt. Diese Sequenzen sind oft schon in sich inkonsequent – so konsequent inkonsequent, wie Steinbeck schreibt, träumen wir eigentlich nur . Man mag das dem eigentlich ernsten Thema angemessen finden oder nicht – das betont Groteske des Traumhaften wurde von der Autorin ganz bewusst eingesetzt. Ihre Vita, so weit ich sie auf die Schnelle im Internet zusammensuchen konnte, lässt mich vermuten, dass sie in die Nähe der modernen Bewegung des Poetry Slams gehört, die ich wiederum als Enkelin der dadaistischen Bewegung auffasse. So ist dieses Werk wohl näher an Hugo Balls ‘Roman’ Tenderenda der Phantast als an Machen oder Lovecraft. Lautréamont hingegen gehört in die Ahnengalerie beider.

Es sind Alpträume, die Steinbeck erzählt. Tote Kinder, die in Koffern durch die Welt geschleppt werden, dann aber doch lebendig sind – der Wunsch, oder eben Nicht-Wunsch nach Kindern, die Gefühle eines Kindes, das erfährt, das es eigentlich von seinen Eltern weder geplant noch erwünscht war. Beziehungen, die aufgebaut werden und wortwörtlich Schiffbruch erleiden. (Dem Roman halte ich eines zu Gute: Für einmal haben wir eine Neuerscheinung, in der kein – in Zahlen: 0! – einziges Mal Geschlechtsverkehr vorkommt. Streicheln ist das Maximum der Gefühle; was dem Leser zusätzlich das Gefühl vermittelt, dass die Ich-Erzählerin in vielem (noch?) nicht erwachsen ist, es vielleicht gar nicht werden will.)

Alles in allem hebt das phantastische Kleid diese Vater-Tochter-Geschichte aus dem üblichen Mus heraus. Steinbeck bezeugt zwar des öftern sprachliche Probleme, vor allem das richtige Mass bei Adjektiven zu Substantiven fällt ihr schwer: Entweder ist das Adjektiv ein blosser Gemeinplatz und könnte / müsste weggelassen werden, oder es ist dann derart gesucht, prätentiös, dass es nachgerade lächerlich wirkt. Ein bisschen mehr Lektorat hätte vielleicht schon geholfen. Keine Entdeckung also, kein Jungtalent, das es unbedingt zu entdecken gälte – hierin muss ich dem Grossteil der Literaturkritik widersprechen. Aber auch Krankheitssymptome konnte ich keine entdecken…

4 Replies to “Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch”

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