Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung

Haas ist vor allem mit seinen „Brenner-Krimis“ bekannt geworden (bzw. mit deren ausgezeichneten Verfilmungen mit Josef Hader in der Hauptrolle). Das war vielleicht nicht „große“ Literatur (was denn überhaupt erst zu definieren wäre), aber es war gute Unterhaltung und somit sehr viel mehr als in vielen, vielleicht den allermeisten Fällen.

Hier ist es ähnlich, wobei Haas für diesen Roman auch den recht renommierten Bremer Literaturpreis erhalten hat. Zurecht nach meinem Dafürhalten, denn dem Autor gelingt es, seine Leser zu unterhalten mit viel Witz und Ironie, indem er Schreib- und Erzählebene vermischt oder mit formalen Strukturen spielt: Der Druck einer Unterhaltung im Aufzug verschwindet Seite für Seite immer weiter nach unten (Dinge, die im Grunde wie alle derartigen Spielereien – Arno Schmidt lässt grüßen – meine Zustimmung nicht finden, hier aber wird das richtige Augenmaß gewahrt)*.

Was wie eine gelungene Liebesgeschichte beginnt, wird im Laufe der Handlung sukzessive dekonstruiert (ein großes Wort und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das erste Mal von mir auf diesen Seiten verwendet; wieder einmal erweist sich die Zukunft als nicht vorhersagbar, denn ich hätte vermutet, dass es mit der Nichtverwendung so bleibt bis in alle Ewigkeit): Die Liebe ist dann eine andere (und diese zerbricht daran, dass sie eine andere ist), der vermeintliche Indianersprössling Benjamin Lee Baumgartner ist Sohn eines Straßenmusikers und mitnichten gezeugt in freier Liebe mit einem Hopi-Indianer aufgrund der (vorgeblichen) Begeisterung der Mutter für die Whorfsche Sprachtheorie. Die Handlung ist voller vermeintlicher (oder echter) Paradoxien, voller Schleifen und kurioser Begebenheiten (immer wieder wird der Vegetarier Baumgartner zum Auslöser diverser Tierseuchen von BSE bis zur Vogelgrippe), garniert mit philosophischen Anspielungen, wobei Haas als Autor vor allem Tarskis Metaebene (nebst dem Verbot der Vermischung der Sprachebenen) strapaziert (und mit den Schleifen zeigt, wohin die Nichtbeachtung dabei führen kann).

Was hier ein wenig angestrengt und überladen klingt, ist aber bloß ein wirkliches Lesevergnügen: Und das auch ganz ohne Philosophie- oder Germanistikstudium. Auch wer die diversen Anspielungen nicht versteht oder überliest (und ich weiß selbstredend nicht, wie viel mir entgangen ist), hat Spaß an dieser Geschichte, die geschickt zwischen rührend, witzig und ernsthaft changiert, sich selbst immer wieder in Frage stellt und gerade dadurch so lesbar wird. Eine uneingeschränkte Empfehlung.


*) Ähnlich ist es auch mit einer Erzählschleife in Hofstadterscher Manier, über die, im Druck immer kleiner werden und schließlich verschwindend, der Autor sich im darauffolgenden Kapitel verwundert zeigt: Wie denn hat die Figur aus diesem Zirkel wieder herausgefunden? Man weiß es nicht …


Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. Hamburg: Hoffmann und Campe 2012.

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